Chinas Drache spuckt zu heißes Feuer

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Als Wirtschaftsmotor erscheint China stärker denn je. Doch die Erfolge sind gefährdet: soziale Unruhen, Spekulationsblasen und Überalterung. Es bleibt nur die Flucht nach vorne - in ein überhitztes Wachstum.

Wien. Was haben die Albaner, Tunesier und Jamaikaner gemeinsam? Sie sind weniger arm als die Chinesen, denn ihre Wirtschaftsleistung pro Kopf liegt über jener im Reich der Mitte. Somit war es keine staatlich verordnete Koketterie, als Sprecher Yao aus Chinas Handelsministerium im vorigen Sommer verkündete: „Chinas Wirtschaftskraft ist auf dem Niveau eines Entwicklungslandes.“

Anlass der nationalen Selbstbescheidung war freilich, dass China Japan als zweitgrößte Wirtschaftsmacht überholt hat und nun direkt hinter den USA liegt. Wenn Yao gewollt hätte, wären ihm noch genug Superlative eingefallen: Exportweltmeister, globaler Wachstumsmotor – und die höchsten Devisenreserven als Kriegskassa für Großeinkäufe im Ausland.

Doch die autoritären Staatskapitalisten wissen, dass ihre Erfolge hoch gefährdet sind. Im Volk wächst der Unmut, weil sich die Kluft zwischen Arm und Reich massiv vergrößert. Das gilt unter Ökonomen als typische, ja sogar notwendige Phase für rasch wachsende Entwicklungsländer: Niedrige Löhne ermutigen Unternehmer zu Investitionen, junge Bauern strömen in Fabriken, ihre Eltern bleiben arm. Eine Generation später hat sich ein solider Mittelstand gebildet, die Einkommensunterschiede nehmen wieder ab.

In China aber spreizen sie sich immer weiter auf. Das zeigt der Gini-Koeffizient, eine Maßzahl zwischen null und eins, die die Ungleichheit in einer Gesellschaft misst: Sie stieg seit 1990 von 0,30 (dem heutigen Niveau in Österreich) auf 0,47 – dem Niveau diktatorischer Bananenrepubliken. Und sie steigt noch geschätzte zwei Jahrzehnte lang. Denn das Reservoir an billigen Arbeitskräften ist schier unerschöpflich. Mindestens 150 Millionen Bauern drängen weiter von den Feldern in die Städte und halten das Lohnniveau tief.

Ungleiche Chancen

Vor allem aber sorgt die staatsnahe Wirtschaft dafür, dass der nationale Reichtum nur zum Teil beim Bürger landet (indirekt werden die meisten Firmen vom Staat kontrolliert, weil die finanzierenden Banken zu rund 70 Prozent in öffentlicher Hand sind). Der Anteil der privaten Haushaltseinkommen an der Wertschöpfung ist in den vergangenen 15 Jahren um zehn Prozent gesunken. Die Gewinne verbleiben in oft monopolistischen Firmen, die kaum Dividenden ausschütten. Eine kleine Funktionärskaste sahnt ab: Ein Prozent der Bevölkerung im „kommunistischen“ China verfügt über 41 Prozent des Reichtums. Oft fehlt die Gleichheit der Chancen, durch die etwa in Amerika die materielle Ungleichheit als motivierende Zukunftschance erlebt wird.

Der Großteil der Gewinne aber muss irgendwo reinvestiert werden, etwa in Immobilien. Dadurch drohen Spekulationsblasen, unter denen alle leiden – zum Beispiel durch hohe Mieten. Die Rekord-Exportüberschüsse wandern in fremde Staatsanleihen, früher großteils jene der USA, heute verstärkt auch solche aus Japan und dem Euroraum. Denn in China selbst wird, so klagt längst auch das Regime, zu wenig konsumiert.

Das liegt nicht nur am konfuzianischen Sparkult, sondern auch am schwachen Sozialsystem, das nur Stadtbewohner notdürftig absichert. Wer sich nicht vor den Fährnissen des Schicksals schützen kann, sorgt für den schlimmsten Fall vor – und spart eisern.

Die Falle der Ein-Kind-Politik

Zumal die Nebenwirkungen der staatlich verordneten Ein-Kind-Politik immer spürbarer werden. Sie hat zwar die Überbevölkerung gedrosselt, aber zugleich in eine demografische Falle gelockt. Das Land erlebt einen beispiellosen Alterungsprozess: In 20 Jahren wird es dort 300 Millionen Pensionisten geben – also in etwa so viele Menschen, wie heute in den USA leben.

Auch deshalb wäre für Peking ein flächendeckendes Sozialsystem viel zu teuer. Zudem schreckt die Schuldenkrise in Europa ab. So bleibt nur ein sehr hohes, vielleicht überhitztes Wirtschaftswachstum als wirksames Sozialprogramm. Damit es so bleibt, investiert die Führung in die Bildung: Bis 2012 soll der Anteil ihrer Kosten am BIP, der vor zehn Jahren nur ein Prozent betrug, auf vier Prozent steigen. Aus gutem Grund: China hinkt bei der Qualifikation seiner Manager und Mitarbeiter weit hinter dem Westen her. Das hemmt Innovation und Produktivität. Und gegen das beliebte Stehlen und Abkupfern der Fertigkeiten anderer formiert sich immer stärker der internationale Widerstand.

All diese Gefahren für ihr System und ihre Privilegien sind den chinesischen Eliten bekannt – von den Einflüsterern aus Thinktanks und Universitäten. Berater spielen eine größere Rolle als irgendwo sonst auf der Welt. Das Volk kommt nur im Internet zu Wort, dem kein Regime der Welt mehr entkommen kann – und das zum Lautsprecher für das Murren der Massen wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2011)

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