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Gegen Lichtverschmutzung

Lichtverschmutzung herrscht weit und breit. Die Zivilisation muss schon weit außen vor sein, als dass man die  Milchstraße zu  sehen bekommt.
Lichtverschmutzung herrscht weit und breit. Die Zivilisation muss schon weit außen vor sein, als dass man die Milchstraße zu sehen bekommt. Reuters
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254. Unsere Dunkelheit verschwindet! Auch als Hellschläfer bin ich gegen Lichtverschmutzung.

Vorhänge hab’ ich nie wirklich verstanden. Auch nachts bin ich gegenüber Helligkeit gleichgültig, ja indolent. Über das Schlafen bei hoher Lichtintensität heißt es zwar, es störe die Produktion von Melatonin und bringe den Tag-Nacht-Rhythmus durcheinander, aber selbigen unterdrücke ich durch einen reiseaffinen beziehungsweise insgesamt problematischen Lebensstil eh effizient.

Augenmasken-Passagiere im Flugzeug schrecken mich jedes Mal. Ich sehe in ihnen keine Ruhebedürftigen, ich spüre vielmehr den Hauch gewagter Praktiken aus „50 Shades of Grey“. Diese Augenbindler sind doch im falschen Film! Dabei liebe ich die Finsternis, solang ich bei wolkenlosem Himmel augenmaskenfrei in sie hineinblicken kann. Die letzten beiden Male, als mir die Milchstraße unterkam, befand ich mich allerdings außerhalb Europas: in der tunesischen Wüste und auf La Réunion. Ich fürchte, Österreich hat gar keine echte Milchstraße mehr. Auf unserem Kontinent soll es nur noch im deutschen Havelland und auf abgelegenen dänischen Inseln halbwegs naturdunkle Flecken geben.
Jährlich nimmt die menschliche Himmelsbeleuchtung um zehn Prozent zu.

Oben geht die Lichtverschmutzung vom Sonnenlicht reflektierenden Weltraumschrott aus – und unten vom urbanen Raum. Berlins Lichtglocke oder Kunstlicht-Halo („Heiligenschein“) ist etwa noch aus 60 Kilometern Entfernung zu sehen. Fischschwärme oder Zugvögel verlieren die Orientierung, biologische Zyklen von Pflanzen geraten in Unordnung. Lichtquellen wirken auch ver­führerisch auf Insekten und tragen zu derem beunruhigenden Aussterben bei. Manchmal reagiert die Politik. Die Umweltabteilung der Stadt Wien analysierte, dass die lokalen Lichtquellen je zu einem Drittel von Geschäftslokalen, Anstrahlungen und öffentlicher Beleuchtung stammen. Neue, allerorts installierte LED-Seilleuchten strahlen deshalb nach unten und reduzieren den Lichtmüll. Solch ein behutsames Lichtmanagement brauchen wir. Denn von Lichtverschmutzung profitieren höchstens die Produzenten von Leuchtkörpern, Vorhängen oder Augenmasken. Das begreift inzwischen sogar ein Hellschläfer wie ich.

("Die Presse Schaufenster" vom 17.03.23)

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