Justizreform

Netanjahu in TV-Ansprache: "Werde alles tun, um Situation zu beruhigen"

Proteste in Tel Aviv gegen die Justizreform.
Proteste in Tel Aviv gegen die Justizreform.REUTERS
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Der Regierungschef soll künftig nur mehr mit einer Drei-Viertel-Mehrheit des Amtes enthoben werden können - aus gesundheitlichen Gründen. Die Opposition nennt das Vorhaben „korrupt“. Halten alle seine Minister weiter zu ihm?

Trotz anhaltender Proteste schreitet die israelische Regierung mit ihrem Plan voran, die Justiz weiter zu schwächen. Das Parlament in Jerusalem verabschiedete am Donnerstag ein Gesetz, das es künftig deutlich schwerer macht, einen Ministerpräsidenten für amtsunfähig zu erklären. Dies ist die erste Gesetzesänderung im Rahmen einer höchst umstrittenen Justizreform der neuen rechts-religiösen Regierung um Ministerpräsident Benjamin Netanjahu.

Vor dem Hintergrund des Streits über die geplante Justizreform bestellte Netanjahu Verteidigungsminister Joav Gallant zu sich. Dies gab die Likud-Partei am Donnerstag bekannt, der beide Politiker angehören. Medienberichten zufolge will Gallant den Regierungschef auffordern, die umstrittene Reform zu stoppen. Donnerstagabend, nach dem Treffen, sagte Gallant lediglich, er habe Netanjahu über die Auswirkungen der Justizreform auf die nationale Sicherheit informiert. Ein eigenes, größeres Statement gab es von ihm nicht. Dafür machte Netanjahu in einer TV-Ansprache klar: „Wir sind entschlossen, verantwortungsvolle Justizreformen durchzuführen“. Er wolle alles tun, um die Situation zu beruhigen und den Zusammenhalt im Land wieder herzustellen.

Seit mehr als zwei Monaten gibt es regelmäßig massive Proteste gegen die Pläne der Regierung. Dem Parlament soll es künftig auch möglich sein, mit einfacher Mehrheit Entscheidungen des Höchsten Gerichts aufzuheben. Zudem sollen Regierungspolitiker deutlich mehr Einfluss bei der Ernennung von Richtern erlangen. Die Koalition um Netanjahu wirft dem Höchsten Gericht eine übermäßige Einmischung in politische Entscheidungen vor. Kritiker sehen die Gewaltenteilung in Gefahr und warnen vor einer gefährlichen Staatskrise.

Auf Netanjahus Bedürfnisse zugeschnitten

Die am Donnerstag verabschiedete Gesetzesänderung ist besonders umstritten, weil sie als persönlich auf Regierungschef Netanjahu und dessen Bedürfnisse zugeschnitten gilt. Gegen den 73-Jährigen läuft seit längerer Zeit ein Korruptionsprozess. Künftig wäre die Amtsenthebung eines Ministerpräsidenten nur wegen psychischer oder anderer Gesundheitsgründe möglich. Damit soll eine Einflussnahme des Höchsten Gerichts oder der Generalstaatsanwaltschaft verhindert werden.

In letzter Lesung stimmten 61 der 120 Abgeordneten dafür. 47 Abgeordnete waren dagegen, die anderen fehlten oder enthielten sich. Damit wäre, wenn das Gesetz nicht noch von der Justiz gestoppt wird, für die Amtsenthebung künftig eine Drei-Viertel-Mehrheit erforderlich.

Die Opposition verurteilte das neue Gesetz als "unanständig und korrupt". Der Oppositionspolitiker Avigdor Lieberman kündigte an, vor dem Höchsten Gericht dagegen vorzugehen.

Tausende Menschen gehen auf die Straße

Unterdessen gingen erneut landesweit Tausende Menschen auf die Straßen, um gegen die Pläne zu demonstrieren. In der Küstenstadt Tel Aviv versammelten sie sich an mehreren Orten und schwenkten israelische Flaggen. Auch in Jerusalem und weiteren Städten kam es zu Kundgebungen. In Tel Aviv und Haifa setzte die Polizei Wasserwerfer ein, um gegen Demonstranten vorzugehen. Vereinzelt kam es zu Festnahmen.

Das Auswärtige Amt in Berlin kritisierte die Entscheidung des israelischen Parlaments, Siedlern die Rückkehr in vier Siedlungen im Westjordanland zu erlauben. Sie stelle "einen gefährlichen Schritt hin zu möglichen erneuten Siedlungsaktivitäten dar", sagte eine Sprecherin. Dies drohe die ohnehin angespannte Sicherheitslage im Westjordanland weiter zu verschärfen. Auch aus den USA und Frankreich kam Kritik.

Netanjahu versuchte am Mittwoch zu beschwichtigen. Er versicherte, die Regierung habe nicht die Absicht, dort neue Siedlungen zu bauen. Ob diese Zusage auch für die zuvor evakuierten Siedlungen gilt, blieb offen.

Ramadan beginnt: Sicherheitslage angespannt

Die Sicherheitslage in Israel und den palästinensischen Gebieten hatte sich zuletzt erneut deutlich verschärft. Während des Ramadans wird eine weitere Eskalation der Gewalt befürchtet. Erfahrungen aus den vergangenen Jahre haben gezeigt, dass die Spannungen während dieser Zeit zunehmen.

Am Donnerstag - dem ersten Tag des muslimischen Fastenmonats - wurde bei einem israelischen Militäreinsatz im Norden des Westjordanlands erneut ein militanter Palästinenser erschossen. Nach israelischen Angaben soll der 25-Jährige an Angriffen gegen israelische Siedlungen und Sicherheitskräfte beteiligt gewesen sein.

Damit kamen in diesem Jahr 86 Palästinenser ums Leben - etwa bei Konfrontationen mit der israelischen Armee oder bei eigenen Anschlägen. Im gleichen Zeitraum wurden 14 Israelis und eine Ukrainerin bei Anschlägen von Palästinensern getötet.

Deutschland warnt vor Reisen ins Westjordanland

Das deutsche Auswärtige Amt twitterte, man rate aktuell von Reisen in das Westjordanland einschließlich Ost-Jerusalem ab, "da dort derzeit mit verstärkten Auseinandersetzungen zu rechnen ist". Das österreichische Außenministerium schrieb in seiner Reiseinformation: "Bei Besuchen in Israel und insbesondere in Jerusalem und dem Westjordanland wird zu großer Vorsicht geraten. Während des Ramadan (22.03. bis 22.04.2023) kommt es erfahrungsgemäß häufiger zu Zwischenfällen. Es wird dringend empfohlen, Demonstrationen und Menschenansammlungen zu meiden, die Nachrichten zu verfolgen und den Anweisungen der lokalen Behörden Folge zu leisten." Pauschal abgeraten von Reisen ins Westjordanland oder nach Jerusalem wurde indes nicht.

Israel eroberte während des Sechstagekrieges 1967 unter anderem das Westjordanland und Ost-Jerusalem. Knapp 600.000 Israelis leben dort heute in mehr als 200 Siedlungen. Der UNO-Sicherheitsrat bezeichnete 2016 diese Siedlungen als Verletzung des internationalen Rechts und forderte Israel auf, alle Siedlungsaktivitäten zu stoppen. Die Palästinenser wollen im Westjordanland, dem Gazastreifen und Ost-Jerusalem einen eigenen Staat einrichten.

(APA/dpa/Reuters)

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