Blau-Schwarz in NÖ

Mikl-Leitner wird sich nie wieder davon erholen

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Mikl-Leitner hat sich nicht mit Udo Landbauer geeinigt, sie hat zugestimmt, von ihm in einer Weise gedemütigt zu werden, die in der politischen Geschichte der Republik ohne Beispiel ist.

DER AUTOR

Robert Menasse (* 1954 in Wien) ist Schriftsteller und Essayist. Er studierte Germanistik, Philosophie und Politikwissenschaft, war Lektor und Dozent an der Universität São Paulo.

Im Oktober erschien sein neuer EU-Roman „Die Erweiterung“ (Suhrkamp) – es ist die Fortsetzung von „Die Hauptstadt“ (2017)

Nachdem die niederösterreichische Volkspartei einen Pakt mit der völkischen Partei geschlossen hatte, verbreitete sie die Message (Deutsch bitte! Ja, wie soll man das korrekt eindeutschen? Ausrede? Rechtfertigung? Notlüge? Lüge ohne Not, aber mit Wollust? Irreführung als Begründung eines Führungsanspruchs?), jedenfalls etwas in diesem Sinn, dass sie nämlich zu diesem „Arbeitsübereinkommen“ geradezu gezwungen worden sei, weil der andere mögliche Partner, nämlich das „rote Gsindel“, unannehmbare Forderungen gestellt habe.

Es war interessant, Johanna Mikl-Leitner dabei zuzusehen und zuzuhören, wie sie sich in der Pressekonferenz rechtfertigte. Verräterisch, wie sie sich immer wieder versprach, und verblüffend zugleich, wie simpel ihre Phrasen waren (was die Frage aufwirft, ob die ÖVP keine besseren Redenschreiber mehr hat, oder ob Spindoktoren diese aus allen Silben blutende Sprache überhaupt noch wundversorgen können). Wenn sie etwa sagt, dass sie Politik machen möchte für „die Menschen, die in der Früh aufstehen“, dann ist klar, dass sie keinen Widerspruch erwartet, er müsste nämlich von den Toten kommen, zumal sie versichert, dass sie Gräber (oder Gräben – das war akustisch ein wenig verschluckt genuschelt) zuschütten möchte. Kaum ist die Phrase vom Zuschütten der Gräben gefallen, kann man darauf wetten, dass sofort das Versprechen folgt, Brücken zu bauen.

Message von der armen ÖVP

Hilflose, von allen Message Controllern verlassene Politiker (Volkspartei und völkische Partei haben sich darauf geeinigt, nicht mehr zu gendern) merken nicht, wie sinnlos diese Aneinanderreihung der Phrasen ist: Wieso sollte man Brücken über Gräben bauen, die zugeschüttet sind? Sie berichtete von einem „harten Ringen“ mit dem Koalitionspartner, und ich bin mir nicht sicher, ob der Versuch, mir das harte Ringen von Johanna Mikl-Leitner mit Udo Landbauer buchstäblich vorzustellen, nicht etwas Peinliches, jedenfalls unfreiwillig Verräterisches hat. Es wollen Seelen gemeinsam singen, wenn Körper miteinander ringen, wie ein deutscher Klassiker schrieb.

Die Message von der armen ÖVP, die „aus Verantwortung für das Land“ (Höllengelächter) gezwungen war und bla, weil die Sozialdemokraten weit überzogene Forderungen gestellt hatten und einfach nicht kompromissbereit waren, sollten wir glauben? Nein, dran glauben musste der Anstand, (der liegt jetzt in einem zugeschütteten Graben), die Botschaft hat sich aber als Lüge herausgestellt. Bis zwei Tage vor dem Abschluss der Verhandlungen der ÖVP mit der FPÖ, die „ohne persönliche Befindlichkeiten“ (interessant) und „sehr professionell“ (Höllengelächter) geführt wurden, boten die Sozialdemokraten der Landeshauptfrau immer wieder eine Fortsetzung der Gespräche an, nachdem bei vier von fünf Punkten schon Kompromisse gefunden und Einigkeit erzielt worden waren. Nur beim fünften Punkt konnte die ÖVP nicht mehr mit: 400 Millionen* für Langzeitarbeitslose, das war, so Mikl-Leitner, nicht finanzierbar. Da kommen die 30 Millionen für einen „Coronaleugner-Beschwichtigungs-Fonds“, wie ihn die FPÖ forderte, ja doch deutlich billiger.

Das kann man nicht erfinden. Und es lässt sich nur erklären, wenn man davon ausgeht, dass diese Niedertracht nicht aufgrund einer unglücklichen Eigendynamik passiert ist, sondern geplant war. Wenn zwischen Johanna Mikl-Leitner und Sven Hergovich „die Chemie nicht stimmte“ – was für eine Art von Chemie ermöglichte die schnelle Einigung mit Udo Landbauer? Dabei ist Einigung der falsche Begriff. Mikl-Leitner hat sich nicht mit Udo Landbauer geeinigt, sie hat vielmehr zugestimmt, von ihm in einer Weise gedemütigt zu werden, die in der politischen Geschichte dieser Republik ohne Beispiel ist. Sie hat zugestimmt, mit ihrer Fraktion im Landtag Udo Landbauer zum stellvertretenden Landeshauptmann und Gottfried Waldhäusl zum zweiten Landtagspräsidenten zu wählen, aber selbst von den Freiheitlichen nicht zur Landeshauptfrau gewählt zu werden.

Ich höre schon das Klatschen

Das kann man nicht erfinden. Aber es braucht nicht viel Fantasie, um sich plastisch vorzustellen, wie die FPÖ, nun, da sie die Landeshauptfrau praktisch am Nasenring durch die politische Arena führt, nicht aufhören wird mit ihren Flegeleien und Demütigungen, und ich höre schon jetzt das Klatschen, wenn sich die freiheitlichen Wähler in den Gasthäusern vor Vergnügen auf die Schenkel schlagen werden, aufgegeilt von den Hormonen im FPÖ-subventionierten Schweinsbratl.
Sachlich bleiben!

Aber warum sollte ich? Haben wir es denn mit sachlicher Politik zu tun? Oder vielmehr mit einem tümelnden Perchtenlauf, bei dem sich Politik als Farce und Verantwortung als Karikatur im Fell von fröhlichen Ungeheuern zeigt?

Johanna Mikl-Leitner hat sich als kompromisslose Politikerin erwiesen. Denn sie hat weder einen Kompromiss mit den Sozialdemokraten gesucht noch von den Freiheitlichen Kompromisse gefordert, sie hat kompromisslos den Forderungen der Freiheitlichen nachgegeben. Auch das ist einzigartig in der Geschichte Österreichs: dass eine regierende Politikerin der Wirtschaftspartei ÖVP die Wünsche des Wirtschaftsbunds nicht umsetzt, sondern einfach wegwischt, um mit „Kellernazis“ (Oskar Deutsch) eine Koalition eingehen zu können. Die Wirtschaft sucht händeringend Arbeitskräfte, aber die NÖVP reicht die Hände jenen, die mögliche Arbeitskräfte des Landes verweisen wollen, wenn sie keine autochthonen Österreicher sind.

Rätsel über Rätsel: Die ÖVP gefällt sich als Europa-Partei. Aber die NÖVP-Landeshauptfrau überlässt die Europa-Agenden in der Landesregierung dem Nationalisten und radikalen Antieuropäer Landbauer.

Und die Künstler eingelullt

Dass Mikl-Leitner bei der Pressekonferenz, bei der sie von ihrem Ringen mit Landbauer und ihrer schließlichen Hingabe berichtete, an die Künstler die Botschaft richtete, dass aber Kunst und Kultur Chefsache, also in ihren Händen blieben, war lieb, aber auch nur ein Beispiel dafür, dass sie auch von Kulturpolitik so wenig versteht wie von Politik grundsätzlich. Sie wandte sich an die Künstler und Kulturschaffenden, als wäre das eine Klientel, der man nur augenzwinkernd zurufen müsse, dass ihre Interessen befriedigt würden, und dann wäre alles gut und die Künstler eingelullt und still. Aber Künstler sind keine Klientel, sie sind Individualisten, die in diesem Fall eines eint: nicht die Befürchtung, keine Subventionen mehr zu bekommen, sondern die Abscheu vor dem Kniefall einer Christdemokratin vor Rassisten, Hasspredigern und wissenschaftsfeindlichen Nationalisten. Die Unterwerfung unter die Flegeleien eines Udo Landbauer, der in jedem anderen Land nicht in Koalitionen eingeladen werden würde, sondern, in einen Cordon sanitaire eingehegt, mit folgenden Fragen konfrontiert werden würde:
Sie haben Migrationshintergrund. Warum hassen Sie Menschen mit Migrationshintergrund?

Ihre Mutter kam aus dem Iran nach Österreich. War sie ein Flüchtling? Warum hassen Sie Flüchtlinge?

Oder kam Ihre Mutter, weil sie die Möglichkeit hatte, sich hier ein besseres Leben aufzubauen? War sie also ein „Wirtschaftsflüchtling“? Warum, Herr Landbauer, hassen Sie „Wirtschaftsflüchtlinge“? Oder kam Ihre Mutter der Liebe wegen?

Hat sie einen Österreicher kennen und lieben gelernt? Was ist mit dem Sohn dieser Liebe passiert, dass er so voll von Hass ist?
Ihre Mutter hat ab und zu auch iranische Gerichte gekocht. Warum haben Sie sich geweigert, das zu essen, warum haben Sie immer von ihr verlangt, Wiener Schnitzel und Schweinsbraten zu machen? In welche Peergroup sind Sie geraten, in der Sie glaubten, sich beweisen zu müssen, indem Sie die Küche Ihrer Mutter und schließlich Ihre Mutter ablehnten und verleugneten?

Ist Ihre Mutter in unergründlicher Mutterliebe dennoch stolz auf Sie, und bedeutet es Ihnen etwas, ob sie stolz auf Sie ist?

Ich habe lang gegoogelt, aber ich habe keine Antworten auf diese Fragen gefunden, kein österreichisches Medium hat Landbauer diese Fragen je gestellt. Das zeigt, dass die Medien hier Aufgeklärtheit mimen, indem sie nicht aufklären: Es ist ihnen egal, woher dieser fesche Rassist kommt.

Freiheitliche Trolle fluten die sozialen Medien mit der intellektuell dürftigen Phrase, dass die FPÖ immerhin „demokratisch legitimiert“ sei und sich daher „die Linken nicht aufregen sollen“, sondern „demokratische Entscheidungen zur Kenntnis nehmen“ mögen. Liebe Trolle: 70 Prozent haben die FPÖ nicht gewählt. Und in keiner demokratischen Verfassung ist ein Automatismus vorgesehen, dass eine Partei, die die Menschenrechte und alle demokratischen Standards infrage stellt und verhöhnt, regieren solle, nur weil sie Wähler hat. Aber wer sie in die Regierung holt und sich dabei als die Schwächere zeigt, als Opfer einer völlig irrigen Vorstellung von Machterhalt, als Gedemütigte, die das Heft in der Hand behalten will, aber akzeptiert, dass andere ihre grotesken Forderungen hineinschreiben, ist politisch tot.

Sie hat sich unterworfen

Auch das ist Demokratie. Das Argument, es hat immer wieder Koalitionen mit den Freiheitlichen gegeben, hält in diesem Fall nicht. Zum Beispiel Kreisky und Peter: Ja, Peter war ein SS-Offizier, aber er hat sich zum Demokraten erzogen und nie, kein einziges Mal, rassistische, antisemitische, NS-Zeit-verherrlichende Äußerungen getätigt. Sinowatz und die Koalition mit Steger: Steger war jetzt nicht gerade ein helles Licht und im Grunde ein eitler Mehrheitsbeschaffer. Aber es gab keine antisemitischen, NS-Zeit-verherrlichenden Aussagen von ihm. Steger versuchte, aus der FPÖ eine liberale Partei zu machen, im Grunde zu einer Art Neos, die zu früh kamen. Als Haider putschte, beendete Vranitzky die Koalition. Als Schüssel sich mithilfe der Freiheitlichen zum Kanzler machte, galt er als schlauer Fuchs, als „Derreiterer“ der FPÖ, dem sich sogar ein Haider beugen musste. Und so weiter. Von all diesen Beispielen unterscheidet sich Mikl-Leitner in diesem gewichtigen Punkt: Sie ist die Erste, die sich unterworfen hat, die sich am Nasenring von einem Mann mit Migrationshintergrund als Gewährsfrau gegen Migration vorführen ließ, die sogar innerhalb ihrer Partei mit Verachtung gestraft wird, die Bünde gegen sich aufbringt, die sogar die Achtung derer verloren hat, die sie als ihre Klientel erachtet hat.

Mikl-Leitner wird sich nie wieder davon erholen. Da kann sie jetzt machen, was sie will. Gut möglich, dass diese Liaison nicht einmal die ganze Legislaturperiode halten wird. Die Frage ist nur noch, ob die freiheitlichen Wähler begreifen werden, dass es ihnen nicht besser geht, wenn sie eine Partei wählen, die dafür sorgt, dass es anderen schlechter geht.

* Korrektur: In einer früheren Version dieses Textes hieß es, die Forderung der SPÖ Niederösterreich Langzeitarbeitslose zu unterstützen hätte 40 Millionen Euro Budget gebraucht. Dies stimmt nicht, wie in den vergangenen Tagen konkretisiert wurde. Die Kosten dafür hätten sich auf mehr als 400 Millionen Euro belaufen. 

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