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Wie der Brunnenmarkt in Wien polarisiert

Brunnenmarkt
BrunnenmarktDie Presse/Clemens Fabry
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Jetzt ist der Brunnenmarkt in aller Munde. Was tut sich dort? Wie hat er sich verändert? Ein Streifzug zwischen Migranten und Bobos, Rinderhaut und Biopastinaken.

„Ein Euro! Sackerl ein Euro! Sackerl ein Eurooo!“, ruft ein Gemüsestandler, der seine Zwiebel und Paprika an den Mann bringen will. Gegenüber surrt die Knochensäge beim türkischen Fleischer, eine Frau mit Kopftuch packt Frühlingszwiebel und Gurken ein.

Es geht vergleichsweise gemächlich zu an diesem Tag, das bedeutet: Der Slalom zwischen prall gefüllten Plastiksackerln, Einkaufstrolleys und Kinderwagen ist einigermaßen bewältigbar – typisch Brunnenmarkt eben. Nach dem provokanten Kurzvideo von Wiens ÖVP-Chef, Karl Mahrer, ist der Markt in Ottakring plötzlich in aller Munde.

Syrer, Afghanen und Araber hätten die Macht übernommen, österreichische Kultur sei nicht mehr vorhanden, der Markt ein Sinnbild gescheiterter Integration, so Mahrer. Der Aufschrei folgte auf den Fuß, Rassismusvorwürfe inklusive. Wie steht es um den Brunnenmarkt? Wie hat er sich verändert? Und wer kommt hierher?

Sehr viele Menschen jedenfalls. Mit 170 Ständen und fast einem Kilometer Länge ist der Brunnenmarkt einer der längsten Straßenmärkte Europas. Und er ist der meistfrequentierte Markt Wiens: Fast 80.000 kaufen hier jede Woche ein. Wie viele Standler aus welchem Land kommen, erhebt das Marktamt nicht. Insgesamt sind 46 verschiedene Nationalitäten vertreten.

Spanferkel und Tandooribro

Manches funktioniert dabei vor allem für die entsprechende Community: der afrikanische Fleischer mit Ziegenfleisch, Putenhals oder Rinderhaut zum Beispiel. Um das Spanferkel und die Würste der serbischen Fleischerei ist vor allem rund um orthodoxe Feiertage ein Griss, das Tandooribrot wiederum, das ganz traditionell mittels eines Polsters in den heißen Ofen geklatscht wird, verkauft sich gleichermaßen an die arabischsprechende Familie wie an junge Hipster.

Der Stand mit dem arabischen Brot ist einer derer, die erst vor ein paar Jahren dazugekommen sind – und die noch einmal einen sichtbaren Wandel produziert haben: Es gibt inzwischen (tatsächlich) einige syrische, irakische oder afghanische Unternehmer. Sie widmen sich unterschiedlichen Sparten, haben aber jedenfalls auch das gastronomische Angebot auf dem Markt bereichert: Es gibt hier nun neben Kebab, Falafel und Hummus Manakish-Fladen mit Thymian, Käse oder Fleisch, den Brotsalat Fattoush oder frittierte Kibbeh aus Bulgur und Faschiertem.

Was da vorher war? Bei der Ankunft der nunmehrigen syrischen oder afghanischen Standler habe es teilweise noch Lücken und leere Stände gegeben, sagt Cornelia Dlabaja von der Akademie der Wissenschaften, die seit über 15 Jahren den Wandel des Markts erforscht. Dass es hier einst nur österreichische Marktstandler gegeben habe, sei im Übrigen eine Mär, sagt sie: „Der Markt besteht seit 1786, und an den Ständen hat sich damals auch die Monarchie widergespiegelt.“

Die große Veränderung freilich setzte in den 1970er- und 1980er-Jahren ein: „Viele österreichische Marktstandler sind in Pension gegangen, ihre Kinder haben die Stände nicht übernommen“, sagt Dlabaja. Sie waren oft besser ausgebildet, hatten Matura oder eine Fachausbildung und suchten sich andere Berufe – nicht zuletzt, weil der Arbeitsalltag auf dem Markt hart war (und ist).

Ärger über Schmutz und Gestank

Dazu kam der Boom der Supermärkte, Wiens Straßenmärkte gerieten unter Druck, verloren Kunden, mehr und mehr Stände blieben leer. Und einstige Gastarbeiter aus der Türkei oder Ex-Jugoslawien nutzten die Chance. „Die migrantischen Unternehmer haben den harten Arbeitsalltag auf sich genommen, um sich selbstständig zu machen und waren dann Teil einer Renaissance der Märkte“, sagt Dlabaja. Ohne sie gäbe es den Brunnenmarkt wohl nicht mehr.

Die Zahl der urwienerischen Standler ist in der Brunnengasse heute gering: Es gibt etwa noch den Würstelstand oder seit vielen Jahren das Blumengeschäft. Dort will man zu der aktuellen Debatte eigentlich gar nichts mehr sagen. Bei dem, was man dann doch erzählt, klingt Ärger darüber durch, wie sich der Brunnenmarkt verändert hat, auch über mangelnde Hygiene bei zahlreichen Ständen, über Schmutz und Gestank.
Tatsächlich ist der Markt nicht immer etwas für sensible Nasen. Und in seiner nunmehrigen Form als Einkaufsort sicher auch nicht für alle Schichten attraktiv. Wovon es hier viel gibt, ist Standardgemüse vom Großmarkt, es gibt Berge von Hühnerschenkeln aus Massentierhaltung, Billigsonnenbrillen oder ramschiges Gewand. Die Bauern und die regionalen Produzenten kommen (nur noch) am Samstag auf den Yppenplatz.

Dort werden dann regionale Biopastinaken verkauft, Karpfenfilets und Craft-Beer, es gibt Blutwurst, Brot und Wein aus den Regionen rund um Wien. Und ein sehr anderes Publikum als das, das während der Woche mit Trolley und vollen Plastiksäcken durch den Markt drängt: Es sind junge Akademiker, genussbewusste Bobos, Eltern mit Bugaboo-Kinderwagen. Die, die an Sonnentagen auch die vielen Lokale auf der Piazza füllen – die im Übrigen auch großteils von Migranten betrieben werden

Imagefaktor für die Stadt

Da sitzen mittlerweile auch Touristen, an dem Tag zieht eine Handvoll englischsprachiger Besucher durch den Markt und staunt über das exotische Flair: Das „Time Magazine“ hat das Grätzel 2019 zu einem der Orte gekürt, die man sich nicht entgehen lassen sollte. „Der Brunnenmarkt ist ein Imagefaktor für die Stadt geworden“, sagt Forscherin Dlabaja. Und die Entwicklung des Markts durch die migrantischen Unternehmer habe auch die enorme Aufwertung der Gegend befördert, die man etwa bei den Wohnungen wahrnimmt, Stichwort Dachausbauten.

Vermischt man sich da? Mit der Brunnenpassage gibt es einen Ort, wo Menschen unterschiedlicher Hintergründe zusammentreffen. Sonst sind zwischen den Omas mit Kopftuch und den Hipstern mit Babytrage nicht so viele Berührungspunkte. „Aber im Gegensatz zu Städten wie Paris haben wir hier ein Nebeneinander und kein Gegeneinander“, sagt Dlabaja. „Und punktuell auch ein Miteinander.“ Das ist schon besonders.

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