Kosmologie

Wie Hawking seine Weltgeschichte neu schrieb

An der University of Cambridge: Stephen Hawking (1942–2018).
An der University of Cambridge: Stephen Hawking (1942–2018).Corbis via Getty Images
  • Drucken

„Stephen Hawkings finale Theorie“ verspricht das Buch seines Schülers Thomas Hertog. Das kann es nicht halten. Denn eine solche Theorie hatte Hawking nicht. Dafür die Idee, dass wir die Vergangenheit des Alls selbst schaffen.

Wer je mit dem großen Physiker Stephen Hawking in dessen späten Jahren kommuniziert hat, wird bestätigen: Es hatte etwas von der Befragung eines Orakels. Erstens, weil Hawking durch die Nervenkrankheit, die ihn lähmte, nur über einen Computer sprechen konnte, den er mit den letzten Muskeln bediente, die ihm gehorchten. Zweitens aber, weil er die großen, sentenziösen, bisweilen raunenden Aussagen liebte. In seiner „Kurzen Geschichte der Zeit“ (1988) etwa erklärte er: „Wenn das Universum wirklich völlig in sich abgeschlossen ist, dann hätte es auch weder einen Anfang noch ein Ende: Es würde einfach sein. Wo wäre dann noch Raum für einen Schöpfer?“ Denn dann, so Hawkings Resümee, „würden wir Gottes Plan kennen“.

An Gott glaubte Hawking zwar nicht, aber an die eine, allumfassende Theorie, die die Physik noch im 20. Jahrhundert finden werde, wie er prophezeite. Daraus wurde leider nichts. Die Superstringtheorie mit ihren mindestens zehn Dimensionen erwies sich als Enttäuschung: Aus ihr ergab sich nicht nur die Beschreibung „unseres“ Universums, sondern auch von Myriaden anderer Universen. Das katapultierte die Kosmologie in ihre Postmoderne: Immer mehr Physiker verlegten sich auf die Idee, dass es all diese möglichen Universen wirklich gebe – und fassten sie in den Oberbegriff Multiversum.

„Niemals ein Multiversum-Fan“

Was unweigerlich eine Frage aufwarf: Wieso leben wir just in dem Universum, in dem wir leben, und nicht in einem anderen? Die naseweise Antwort lautet: Weil genau dieses Universum so beschaffen ist, dass es Leben hervorbringen konnte – und schließlich Wesen, die solche Fragen stellen. Diese Erklärung nennen die Kosmologen das anthropische Prinzip, sie ähnelt der Antwort eines Barbesuchers auf die Frage, warum er in dieser Bar sei und in keiner anderen: „Weil ich überall anders Lokalverbot habe.“
Wie etlichen anderen Physikern war Hawking diese Flut an Universen nicht geheuer: „Ich war niemals ein Multiversum-Fan“, waren seine vorletzten Worte an seinen Mitarbeiter Thomas Hertog. Die letzten folgten gleich darauf: „Zeit für ein neues Buch . . . das Holografie einschließt.“

Dieses Buch hat Hertog nun geschrieben. Wobei die Holografie nur eine Nebenrolle spielt: Sie bedeutet die Idee, dass man ein Universum in einem Modell mit weniger Dimensionen besser beschreiben kann. Oder dass es „in Wirklichkeit“ eine Dimension weniger hat, als es scheint. Die beiden Auffassungen verschwimmen, wie überhaupt in der heutigen theoretischen Physik der Unterschied zwischen Wirklichkeit und ihrer Beschreibung bisweilen verschwimmt.

Wie der Unterschied zwischen Wirklichkeit und Beobachtung. Daran ist die Quantentheorie schuld. Sie sagt: Wer ein Objekt misst, verändert es; er zwingt es, sich für einen der möglichen Zustände, in denen es sich befinden kann, zu entscheiden. „Der interaktive Prozess, den wir als Beobachterschaft bezeichnen, verwandelt etwas von dem, was sein könnte, in das, was tatsächlich geschieht“, schreibt Hertog. Wie's bei Nestroy heißt: „Wirklichkeit ist immer das schönste Zeugnis für die Möglichkeit.“

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.