Viele Riten fußen in der Antike, so auch im historischen Eleusis, dem heutigen Elefsina, 30 Kilometer nordwestlich von Athen.
Griechenland

Mysterienbedarf? Bitte weiter nach Eleusis!

Eleusis/Elefsina unweit von Athen ist aktuell Europäische Kulturhauptstadt. Und frönt Rätselhaftem.

Traditionellerweise beginnt das Jahr in Griechenland mit der Theophanie (Dreikönig), die an die Taufe Christi erinnert. Dementsprechend begeht man den Tag in Hafenorten mit einem populären Brauch. Nach der Messe zieht die Gemeinde ans Meer, der Pope wirft ein Kreuz möglichst weit aufs Wasser, die tapfersten Männer versuchen, es heraufzutauchen. Natürlich haben sie das auch heuer in Elefsina so gemacht, allein: Acht Männer kamen mit leeren Händen zurück, das göttliche Symbol hatte die einzige Frau in der Runde geborgen.

Das alte Eleusis liegt im heutigen Elefsina.
Das alte Eleusis liegt im heutigen Elefsina. (c) HOMOLKA

Das wäre in manchen Orten vielleicht als Omen gedeutet worden, nicht so in Elefsina. Das alte Eleusis, so der antike griechische Name, hat nämlich eine recht matriarchalische Geschichte, die im Unterbewusstsein der Stadt hängen geblieben ist. Seit vorhellenischen Zeiten pilgerten Menschen zur hiesigen Kultstätte der Fruchtbarkeitsgöttin Demeter, um in ein Geheimnis initiiert zu werden, das bis heute niemand wirklich kennt, es zu verraten stand unter strenger Strafe. Nur, dass es mit Demeters Tochter Persephone und Hades zu tun hat. Dass hier Feste als Mysterien gelten, überrascht also nicht.

Logik und Ratio kamen auch in Griechenland erst später auf. Das Usurpieren von im Volksglauben verankerten Riten hat Tradition, etwa ab dem sechsten vorchristlichen Jahrhundert haben die Eliten in Athen diese in ihr Festprogramm aufgenommen. Nachdem eine Opfergabe Hunderter Ziegen an Demeter und Jagdgöttin Artemis im lokalen Heiligtum am Flussufer des Illisos den Finalsieg gegen die Perser gebracht hatte, wollte keiner auf göttliche Hilfe verzichten.

Industrie statt Ackerland

Und so begannen dort in Athen auch die Vorbereitungen der Wallfahrt zu den Mysterien von Eleusis. Das tatsächliche Event startete als Prozession vom „heiligen“ Stadttor neben dem Friedhof von Kerameikos, führte über die Iera Odos, den Heiligen Weg, durch Olivenhaine über den Kiffisos und eine Bergkette nach Westen hinunter ans Meer. Dort machen sich heute Raffinerien und Schwerindustrie breit, in der Antike war die Thirasische Ebene als fruchtbares Ackerland wichtig für die Versorgung mit Nahrungsmitteln. Auch Wasser war reichlich vorhanden. Das kann man schön an der römischen Brücke erkennen, die sich dreibogig an das Betonkonstrukt der modernen Autobahn anlehnt und eine nunmehr dürre Senke überspannt.

In der aktuellen Europäischen Kulturhauptstadt trifft Antike auf Industrie-Kultur.
In der aktuellen Europäischen Kulturhauptstadt trifft Antike auf Industrie-Kultur. (c) APA/AFP/LOUISA GOULIAMAKI (LOUISA GOULIAMAKI)

Oft war es aber auch zu viel des Wassers, das sich aus den Bergen in die Ebene ergoss. Da riesige Infrastrukturprojekte nicht plausibel waren, versuchte man sich mit den Göttern gut zu stellen – die Mysterien wurden zum Publikumsmagneten: Die Aufzeichnungen erster Kulthandlungen in Eleusis stammen aus mykenischer Zeit, vor 3500 Jahren also, manche Gelehrte vermuten sogar den Ursprung der Landwirtschaft in unseren Breiten genau hier.

Wie dem auch sei, das lohnende Geschäft mit den Pilgern versiegte rasch, als Christen die Macht übernahmen, besonders dem byzantinischen Kaiser Theodosius stieß der Kult, der einer weiblichen Gottheit huldigte, sauer auf. Also verbot er ihn, nachdem er die Goten besiegt hatte, die gern der Zerstörung hellenistischer Kultorte bezichtigt werden. Damit beendete er die jahrhundertealte Tradition, dass römische Kaiser zu jenem exklusiven Kreis zählten, die in den Kult initiiert worden waren. Von Marc Aurel etwa wissen wir das, weil sein in Stein gehauenes Porträt aus den Propyläen bis dato im Archäologischen Park bewundert werden kann.

Motto „Mysteries of Transition“

Zum Titel des heurigen europäischen Kulturhauptstadtjahrs – „Mysteries of Transition“ – passt aber nicht nur der Bedeutungsverlust des einst bedeutenden Kultorts, auch seine weltliche Erscheinung hat sich grundlegend verändert. Konnte man dank der günstigen Lage des Hafenorts bald in Schifffahrt, Handel und verarbeitende Industrie diverzifizieren, führte der Strukturwandel im 20.Jahrhundert in eine tiefe Krise. Zwar bilden die zahlreichen stillgelegten Fabriken interessante Spielorte für kulturelle Angebote, der von Raffinerien gezeichnete Hintergrund stellt allerdings einen krassen Kontrast dar. Der sich aber aufklärt, sobald man sich vor Augen führt, dass Fruchtbarkeit in vielerlei Hinsicht Wachstum bedeutet.

Das Motto „Mysteries of Transition“ passt aber nicht nur der Bedeutungsverlust des einst bedeutenden Kultorts.
Das Motto „Mysteries of Transition“ passt aber nicht nur der Bedeutungsverlust des einst bedeutenden Kultorts. (c) HOMOLKA

Und genau damit setzen sich die Künstler auseinander, die Michail Marmarinos, künstlerischer Leiter des Kulturhauptstadtjahrs in Eleusis, damit beauftragt hat, ein Programm auf die Beine zu stellen, das auf aktuelle Problemfelder eingeht. Drei davon hat er identifiziert und zu Schwerpunkten gemacht: Mensch und Gesellschaft, Arbeit sowie Umwelt. Die Veranstaltungen laufen zum Teil schon seit vergangenem Jahr. Etliche Ausstellungen zu Stadt und Geschichte waren bereits zu sehen. Jene über die Mysterien an sich ist vergangenen September vom Benaki Museum in Athen ins renovierte alte Rathaus von Elefsina umgezogen. Dieses ist jetzt als erste Anlaufstelle für Besucher dringend empfohlen.

Ein Kulturjahr-Programm mit Tanz, Musik, Street Art, Kino und Ausstellungen greift auch aktuelle Probleme von Elefsina auf: von Arbeitslosigkeit über Immigration zu Umweltsünden.
Ein Kulturjahr-Programm mit Tanz, Musik, Street Art, Kino und Ausstellungen greift auch aktuelle Probleme von Elefsina auf: von Arbeitslosigkeit über Immigration zu Umweltsünden.(c) APA/AFP/LOUISA GOULIAMAKI (LOUISA GOULIAMAKI)

Nicht nur, dass sich das Rathaus direkt neben den archäologischen Ausgrabungen befindet, auch alle anderen Veranstaltungsorte sind von hier problemlos fußläufig zu erreichen. Etwa das Open-Air-Theater neben der alten Olivenölfabrik. In diesem hat nicht nur die Attiko School of Drama Stellung bezogen, um sich mit dem Local Hero Aischylos auseinanderzusetzen, es kommen auch jede Menge zeitgenössische Produktionen, etwa von Romeo Castellucci, zur Aufführung. Weiter hinten in der Stadt hat man den einstigen Bahnhof zur Spielstätte gemacht, im Sommer wird hier ein Freiluftkino-Festival stattfinden. Auch in Griechenlands erster Farbenfabrik, Iris, den einstigen Lagerhallen der Eleourgiki-Fabriken oder auf dem Gelände des früheren Oasis-Campinplatzes und draußen am Meer findet Kultur statt.

Gut erreichbar ab Athen

Auch wenn Henry Miller natürlich kaum zu widersprechen ist, der schrieb, es wäre ein Sakrileg, mit dem Auto nach Elefsina zu hetzten, ist der Fußweg mit 21 Kilometern vielleicht doch ein wenig zu langwierig. Glücklicherweise fährt von der Metrostation Agia Marina jede halbe Stunde der Expressbus, der hält sich brav an die historische Route und bleibt auf der immer noch so genannten Iera Odos. So weit die noch existiert. Ausgerechnet dort, wo einige Nischen im Fels kurz vor Erreichen der Küste Zeugnis für eine antike Aphrodite-Kultstätte ablegen, die zum Standardrepertoire der Wallfahrt gehörte, bleibt nur die Schnellstraße. Immerhin genießt man von dieser, so man auf der linken Seite sitzt, den Blick über die Bucht von Salamis. Dort wurde vor zweieinhalb Jahrtausenden mit tatkräftiger Hilfe des Athener Bürgers Aischylos die persische Flotte vernichtend geschlagen. Nun sieht man hier die ewig lodernden Flammen der Raffinerien – und jenen Fels im Ort Elefsina, unter dem im antiken Eleusis der Göttin Demeter gehuldigt wurde. www.2023eleusis.eu

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2023)

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