Klimaklagen

Die Inflation der Grundrechte

Viele Junge orten Versäumnisse der Politik und bauen auf Klimaklagen. Konstruktiver wären Vorschläge, die Gerichte nicht leisten können. Welt-Klimastreik 2019, Stockholm.
Viele Junge orten Versäumnisse der Politik und bauen auf Klimaklagen. Konstruktiver wären Vorschläge, die Gerichte nicht leisten können. Welt-Klimastreik 2019, Stockholm. AFP via Getty Images
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Am Beispiel Klimaklagen: Progressiv Gestimmte entnehmen der Verfassung Hinweise, wohin die politische Reise gehen muss. Doch die Totalisierung der Verfassung schwächt deren Autorität.

Dass die Grundrechte gegen den Staat gerichtete Abwehrrechte seien, gehörte einst zu den Binsenweisheiten des Staatsrechts. Zum Zweck der Sozialgestaltung dürfe die individuelle Freiheit zwar eingeschränkt werden, aber bloß bis zu dem Punkt, an dem ein Grundrecht der Politik eine rote Linie bezeichnet und den Eingriff abwehrt.

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Das ist die Sichtweise des klassischen Liberalismus. Sie verbreitete immer schon Langweile und galt unter den progressiv Gestimmten sowieso als fantasielos. Etwas so Erhabenes wie ein Grundrecht müsse doch noch „mehr“ sein als „bloß“ etwas Negatives. In der Tat machten alsbald in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts das deutsche Bundesverfassungsgericht und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte „Entdeckungen“, welche die Einbildungskraft der Grundrechtsenthusiasten stimulieren sollten: die Verfassung als „Wertordnung“, die „Ausstrahlungswirkung“ der Grundrechte ins Privatrecht, judizierbare Verfassungsaufträge, Schutzpflichten etc. Seitdem teilt die Verfassung vom Ansatz her der Gesetzgebung vermittels des Verfassungsgerichts nicht nur mit, was sie nicht darf, sondern auch, wohin die politische Reise gehen muss. Die Verfassung wird, als handle es sich um eine Offenbarung, tiefgründig und schön zur unerschöpflichen Quelle von Geboten und Maßstäben. Da diese Entwicklung von einer stetigen Ausweitung der Schutzbereiche der Grundrechte begleitet wird (etwa, wie in Deutschland, durch deren kombinierte Anwendung oder in Österreich durch überraschende Einsichten in den Gleichheitssatz), erhält man das, was Josef Isensee und Mattias Kumm unabhängig voneinander und mit unterschiedlichem Akzent als die „totale Verfassung“ bezeichnet haben. Eine Situation lässt sich nicht mehr denken, in der nicht durch ein Handeln oder ein Unterlassen des Staates ein Grundrecht berührt und damit die Zuständigkeit der Verfassungsgerichte impliziert wäre.

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