Eine miserable Langfristprognose, doppelte Zinslast und abfallende Ratings – wir sollten uns fragen: Wo führt das alles hin?
DER AUTOR
Armin Hübner (*1985) ist stellvertretender Klubdirektor und Leiter der politischen Abteilung im Parlamentsklub der Neos. Er studierte Volkswirtschaft und Internationale Beziehungen in Wien.
Der Ruf Italiens ist ambivalent: als Urlaubs- und Sehnsuchtsort unerreicht, aber auch als wirtschaftspolitischer Dauerpatient Europas bekannt. Der Elefant im Club Med. So lautet das Klischee: Il dolce far niente (das süße Nichtstun), gutes Essen, aber auch Schulden und eine schräge und unverantwortliche Politik – das verbinden viele mit Italien. Zumindest was Letzteres betrifft, könnte Österreich bald das gleiche Problem haben.
Italiens Staatsverschuldung ist enorm: 150 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Das ausgemachte Maastricht-Ziel der EU ist 60 Prozent. Das erreicht aber kaum ein Land. Die natürliche Annahme Nordeuropas lautet: Italiens Staatsverschuldung liegt darin begründet, dass nicht genügend Steuern erhoben worden sind, um die öffentlichen Ausgaben zu finanzieren, oder dass öffentliche Ausgaben schlicht zu teuer, also nicht nachhaltig sind – zum Beispiel Pensionen, Beamtenprivilegien etc. In den 1970er- und -80er-Jahren war das zutreffend. In dieser Zeit sind auch die meisten Schulden entstanden, oder es ist die Basis dafür gelegt worden. Heute aber entspricht das nicht mehr der Realität. Und überhaupt: Das Problem liegt in der Schuldenquote, die (negativ) vom BIP abhängig ist und nicht in den absoluten Schulden.
Als Italien falsch abgebogen ist
Es sind außerdem Deutschland und Frankreich gewesen, nicht Italien, die als Erste gegen die Regeln des Stabilitätspakts der Eurozone für Haushaltsdefizite verstoßen haben. Seit drei Jahrzehnten hat es in Italien in der Regel primäre Haushaltsüberschüsse (das heißt vor Zinszahlungen) gegeben. Bis die Pandemie das Land 2020 von dem Kurs abbrachte, hatte Italien seine Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP weitgehend konstant gehalten.
Zurück zu den 80ern: jenem Punkt, an dem Italien falsch abgebogen ist. Das sollte Politikerinnen und Politikern in Österreich durchaus zu denken geben. Denn nichts anderes wurde Österreich erst kürzlich in einer Langzeitprognose vorhergesagt: Die langfristige Budgetprognose ist ein verpflichtender Bericht der Bundesregierung, der alle drei Jahre eine hinreichend begründete, nachvollziehbare, langfristige Budgetprognose für die kommenden dreißig Jahre beinhalten muss.
Vergleicht man den Bericht aus dem Jahr 2019 mit jenem, der kurz vor Weihnachten 2022 fertiggestellt worden ist, dann sieht man, dass die Schuldenquote Österreichs in 30 Jahren nicht nur um 50 Prozentpunkte höher sein wird als 2019, sondern auch um 55 Prozentpunkte höher als 2019 prognostiziert worden ist. Das heißt: Statt der 65,5 Prozent Schuldenstand zu BIP im Jahr 2060, wie im Jahr 2019 angenommen, werden wir auf eine Schuldenquote von 120,8 Prozent kommen. Doppelt so viel, wie nach Maastricht zulässig ist.
Was ist passiert?
Der Budgetdienst des Parlaments analysiert wie folgt: „Die wesentlichen Ursachen für diese Abweichungen liegen im zuletzt krisenbedingt deutlich angestiegenen Schuldenstand, im veränderten Zinsumfeld und in geänderten Ausgangswerten für die Fortschreibung der weiteren nicht demografieabhängigen Ausgaben. Die Dynamik der demografieabhängigen Ausgaben hat sich gegenüber der vorangegangenen Prognose hingegen kaum verändert.“
Zu hohe Ausgaben in der Krise
Der Unterschied zwischen dem Bericht von 2019 und dem von 2022 liegt also nicht an falschen Annahmen über Alterung und Pensionswellen, es liegt schlicht an den hohen Ausgaben für das (eigentlich nicht treffsichere) Krisenmanagement. Die Konsequenz? Eine Spirale, die wir aus Italien kennen.
Warum sind die heutigen Schulden ein Problem? Die Kosten der (Re-)Finanzierung der Schulden steigt mit dem Schuldenstand und der Bewertung der Zahlungsfähigkeit – veranschaulicht durch Ratingagenturen. Und sowohl bei Zehn-Jahres-Anleihe als auch bei den Ratingagenturen gab es zwischen Italien, Portugal und Spanien eher eine beidseitige Annäherung zu Österreich. Die Rendite der zehnjährigen Staatsanleihe (also die Kosten der Refinanzierung) stieg in Österreich mit +112 Basispunkten in den vergangenen sechs Monaten deutlich schneller an als jene von Italien (+67 BP), Portugal (+87 BP) und Spanien (+91 BP).
Das heißt, Österreich muss künftige Investitionen schneller verdrängen als die Länder des Südens. Wir brauchen aber die Investitionen in die Zukunft, um Wachstum zu fördern, um die Schuldenquote geringer zu halten – um eben nicht wieder höhere Zinsen zu haben, um weniger zukunftsorientiert Geld auszugeben und so weiter. Der Grund, warum Italiens Staatsschuldenlast immer noch so hoch ist, hat mit dieser Dynamik zu tun. Wachstum – der Nenner der Schuldenquote – ist ebenso wichtig wie der Zähler, die nominellen Schulden. Belgien hatte bei der Einführung des Euro beispielsweise einen ähnlichen Schuldenstand wie Italien, ist seither aber weniger schnell gewachsen.
Schulden ohne Reformen
In einem kürzlich erschienenen Buch wird die Bedeutung der Meritokratie für das Wirtschaftswachstum erklärt, indem es den wirtschaftlichen Niedergang Italiens in den vergangenen Jahrzehnten analysiert. Dass eher Netzwerke als Verdienste zählen, ist ein schon seit Jahren vorhandenes Merkmal der italienischen Eliten, auch im Unternehmenssektor. Das wurde zu einem bedeutenden Problem und hinderte Italien daran, eine wissensbasierte und offene Wirtschaft zu werden, als Italien durch Imitierung seiner Industrie (vor allem der asiatischen), Abwertung und Staatsverschuldung nicht mehr wachsen konnte.
Wenn einem das aus Österreich bekannt vorkommt, liegt man wahrscheinlich nicht ganz daneben. Italien hat ein Wachstumsproblem, das aus einem Schulden- und Verkrustungsproblem erwachsen ist. Es geht also um das Wachstum – auch in Österreich. Und dafür braucht es Reformen und Wettbewerb. Wer zu viele Schulden anhäuft und keine Reformen umsetzt, die wachstumsfördernd wirken würden, kommt nur schwer aus der Spirale heraus. Auch Sparmaßnahmen und Primärüberschüsse helfen dann nicht immer, tun aber weh.
Noch nicht überzeugt? Das österreichische Budget für das Jahr 2023 zeigt, dass sich die Zinslast verdoppeln wird, konkret von rund 4,3 Milliarden auf mehr als 8,7 Milliarden Euro. Das ist eine enorme Steigerung. In Österreich wird aber nur jeder fünfte bis sechste Euro des Bundesbudgets in zukunftsorientierte Bereiche wie Klimaschutz, Elementarpädagogik oder Forschung investiert. Das Ergebnis sieht man dann in dreißig Jahren – oder schon jetzt in der oben zitierten Langzeitprognose.
Staat effizient aufsetzen
Besser wäre es, den Staat von Haus aus so effizient aufzusetzen, dass er mit weniger Geld auskommt und die Steuerlast damit abnimmt oder man die Chance hat, etwas Spielraum für zukünftige Krisen zu behalten.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.03.2023)