Wirtschaftsforschung

Neuer IHS-Chef Holger Bonin: „Der Markt regelt nicht alles, der Staat auch nicht“

(c) IHS/Martina Berger (Martina Berger)
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Über zwei Jahre suchte das IHS nach einem Nachfolger für Martin Kocher. Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt in Österreich ging der künftige IHS-Chef Holger Bonin auf „falsche Gerüchte“ und seine Pläne für das zweitgrößte heimische Wirtschaftsforschungsinstitut ein. Er will bei den Themen Arbeitsmarkt, Generationengerechtigkeit und der Sinnhaftigkeit von Staatseingriffen Schwerpunkte setzen.

Wien. Am Dienstag stellte sich der neue Chef des heimischen IHS, der deutsche Ökonom Holger Bonin, erstmals der Öffentlichkeit in Österreich vor. Und dabei ging er auch gleich auf diverse „falsche Gerüchte“ ein, die laut ihm nach seiner Bestellung in Umlauf gewesen seien. „Die kurioseste Einordnung dabei war, dass ich von altem deutschem Adel sei. Das stimmt nicht, ich bin ein Arbeiterkind. Ich war der erste in meiner Familie, der studiert hat“, so Bonin. Er sage das nicht, um damit zu kokettieren. „Aber es hat einen Einfluss darauf, wie ich die Welt sehe.“ So sei ihm das Thema soziale Ungleichheit ein sehr wichtiges Anliegen.

Und auch ein anderes Thema sei ihm wichtig, von Beginn an klar festzuhalten: „Ich habe kein Parteibuch.“ Wenn seine politische Haltung bei der Bestellung ein Thema gewesen wäre, dann wäre er nicht nach Wien gekommen. „Ich habe natürlich eine politische Meinung“, so Bonin. Diese stünde bei seiner Arbeit aber im Hintergrund. „Ich werde mit allen reden, aber niemandem nach dem Mund reden.“ Und er werde sich auch zu Wort melden, wenn er meine, etwas zu sagen zu haben. „Und nicht nur, wenn ich gefragt werde“, verspricht der neue IHS-Chef, sich künftig in die innenpolitische Diskussion aktiv einzumischen.

Nachfolger von Martin Kocher

Bonin wird seine Tätigkeit am 1. Juli antreten. Derzeit ist der 54-Jährige Forschungsdirektor am Institut zur Zukunft der Arbeit sowie Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Kassel. Das IHS ist mit rund 150 Mitarbeitern und einem Jahresbudget von etwa zwölf Mio. Euro das zweitgrößte heimische Wirtschaftsforschungsinstitut nach dem Wifo. Seit dem Abgang des langjährigen IHS-Chefs Martin Kocher in die Bundesregierung per Jahresanfang 2021 war die Position vakant. Seit dem Mai 2022 wurde das IHS interimistisch vom emeritierten Professor der Universität Bern, Klaus Neusser, geführt. Er bleibt dem IHS in beratender Funktion erhalten.

Der Wechsel in ein Wirtschaftsforschungsinstitut, in dem auch allgemeine makro-ökonomische Themen erforscht sowie Konjunkturprognosen erstellt werden, sei für ihn auch der maßgebliche Anreiz für seinen Wechsel nach Wien gewesen, so Bonin weiter. Zu Österreich meint er: „Ich bin kein Österreich-Insider. Aber mein Bild von außen ist, dass die politische Landschaft stärker polarisiert ist als in Deutschland. Außerdem spielen Beziehungsgeflechte eine stärkere Rolle.“ Diese könne mit der geringeren Größe zu tun haben, so Bonin, der die Lage der Republik dabei mit jener in größeren deutschen Bundesländern vergleicht. Zudem sei auch die Volkswirtschaft anders aufgestellt: „Es gibt hier wesentlich mehr Tourismus und dafür weniger verarbeitendes Gewerbe – etwa in der Autoindustrie.“

Er selber sehe sich sehr stark als „Politikberater“. Allerdings solle diese Beratung nicht wie bei einem Consulter erfolgen, sondern mit „wissenschaftlicher Exzellenz“. Das bedeute für ihn, dass es dabei eine fundierte und ergebnisoffene Forschungsarbeit brauche. Zudem wolle er auch die relevanten Fragen der Politik und Gesellschaft in die Wissenschaft hineinbringen. „Diese soll nämlich nicht im Elfenbeinturm sitzen“, so Bonin.  

Arbeitsmarkt, Demografie und Staatseingriffe als Forschungsschwerpunkt

Auf drei Themenbereiche wolle er dabei den Schwerpunkt der künftigen Arbeit des IHS legen. Zuerst einmal den Wandel der Arbeitswelt, der sich zwischen den Polen Fachkräftemangel und „Jobkiller Digitalisierung“ abspiele. Zweites wichtiges Thema sei die Demografie und Generationengerechtigkeit. Ein Thema, über das der gelernte Finanzwissenschaftler einst bereits seine Dissertation schrieb. Und zu guter Letzt die Effektivität von Staatseingriffen. Hier habe er in Deutschland zuletzt etwa an der Arbeitsmarktintegration oder dem Bürgergeld geforscht.

Seine persönlichen Überzeugungen umreißt er dabei wie folgt: „Der Markt regelt nicht alles. Der Staat aber auch nicht.“ Mit seinem Wechsel nach Österreich freue er sich auch darauf, ein spannendes und neues politisches Ökosystem kennenzulernen.

Für das IHS plant Bonin mehr strategische Allianzen. Diese könnten sowohl mit einzelnen Forschern und Forscherinnen als auch mit Institutionen im In- und Ausland geschlossen werden. „Wir brauchen mehr Freiräume für Forschung und Nachwuchsförderung“, so Bonin. Eine Karriere in der Wirtschaftsforschung solle sowohl in der Wissenschaft, als auch in öffentlichen oder privaten Institutionen fortgeführt werden können.

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