Gastkommentar

SPÖ sucht Chef/in: Kein guter Zeitpunkt für Experimente

SPÖ-Führungsfrage. Die neue Liberalität bei der Kandidatensuche hat Tücken.

Der Autor:

Dr. phil. Christoph Landerer (*1966) ist Kulturwissenschaftler und Leiter von wissenschaftlichen Forschungsprojekten.

Die bevorstehende Mitgliederbefragung der SPÖ wartet mit Überraschungen auf: Das Kandidatenfeld wurde erweitert, das Match ist nicht mehr auf Pamela Rendi-Wagner und Hans Peter Doskozil beschränkt. Doch so basisdemokratisch das Prozedere auch anmutet – die neue Liberalität bei der Kandidatensuche hat Tücken, die nicht unterschätzt werden sollten.

Wer auch immer das Rennen für sich entscheidet, er bzw. sie muss Qualitäten mitbringen, die nicht nur für den SPÖ-Vorsitz qualifizieren, sondern auch für eine künftige Kanzlerschaft. Die gewählte Person muss also einer Regierung vorstehen und die Regierungsarbeit leiten können, und dieses Anforderungsprofil ist enger als jenes der Obmannschaft. Die ÖVP mag hier besonders traditionell ticken, aber ihre Vorgaben sind klar: Es gilt das ungeschriebene Gesetz der Regierungserfahrung. Seit der mittleren Nachkriegszeit, beginnend mit Josef Klaus, kamen alle ÖVP-Vorsitzenden und Kanzler-Aspiranten aus Regierungsämtern, i.d.R. im Ministerrang (Withalm war Vizekanzler; die einzige Ausnahme, Josef Taus, war als Staatssekretär jedenfalls Mitglied des Ministerrats). Das Angebot an Persönlichkeiten mit entsprechender Eignung schwindet mit zunehmender Entfernung von der Macht, aber auch in den 16 Jahren Opposition wagte die ÖVP keine Experimente. Alois Mock, der letzte ÖVP-Obmann der bis 1986 währenden Oppositionsära, war der letzte Unterrichtsminister des Kabinetts Klaus.

Auch die SPÖ hält sich an das ungeschriebene Gesetz, die Stammreihe der Kanzler mit Ministervergangenheit beginnt mit Bruno Kreisky. Sinowatz, Vranitzky, Klima kamen aus Ministerämtern, bis die Partei 2000 mit der Tradition brach – im Unterschied zur ÖVP, die eisern, von Schüssel bis Nehammer, daran festhält. Der bereits damals drohende Machtkampf zwischen dem rechten und dem linken Flügel der SPÖ in Gestalt der beiden Ex-Minister Karl Schlögl und Caspar Einem wurde auf Geheiß der Parteiführung abgesagt, Alfred Gusenbauer als Kompromisskandidat installiert.

Werner Faymann folgt ab 2008 wieder dem klassischen Modell, aber sein Vorgänger Gusenbauer hat ebenso wenig Regierungserfahrung wie sein Nachfolger Christian Kern. Beide, Gusenbauer wie Kern, sind Kurzzeit-Kanzler bzw. Kurzzeit-Parteivorsitzende und werfen nach jeweils eineinhalb Jahren das Handtuch. Gusenbauer verabschiedet sich geordnet, Kern hinterlässt ein Chaos. Zusammen währt ihre Kanzlerschaft nicht einmal halb so lang wie jene des glanzlosen Funktionärs Faymann.

Wer ist bekannt und beliebt?

Auch Rendi-Wagner und Doskozil kommen aus Ministerämtern, und es hätte gute Gründe gegeben, es bei diesen beiden Kandidaten zu belassen, denn die SPÖ verfügt über kein breites Reservoir an Kandidaten, die erfahren und ausreichend bekannt und beliebt sind, um die Partei 2024 in die Wahl zu führen und in einer nachfolgenden Koalition an der Regierungsspitze zu reüssieren.

Zwar ist auch die ÖVP aktuell in keiner komfortablen Situation, aber einen öffentlichen Showdown konnte die Partei bis heute vermeiden – sie ist auch nie der Versuchung von Quereinsteigern erlegen. Die ÖVP scheitert mit schwarz (bzw. türkis)-blauen Regierungen, und die korruptiven Verwicklungen des Kabinetts Kurz I bringen die türkisen Dominanzfantasien zu Fall. Aber die Partei ist in der Lage, ihre Führungsprobleme geordnet zu sortieren – auch aus einem sehr traditionellen Verständnis von Spitzenpolitik heraus, das in der SPÖ nach 2000 zunehmend erodiert. Dass nun ein geeigneter Zeitpunkt für Experimente ist, darf bezweifelt werden.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.03.2023)

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