Gastkommentar

Ein Weiter-so in der Sicherheitspolitik wäre Kapitulation

Replik auf R. Báchora. Irgendetwas wird Österreich mit seiner Neutralität tun müssen.

Der Autor:

Prof. Dr. Jozef Bátora (*1976) ist Professor für internationale Politik an der Webster Vienna Private University in Wien und an der Comenius-Universität in Bratislava.

In seiner Replik auf meinen Text („Sicherheitspolitik in der Ära der Grauzonen“, 11. 3.) kritisiert Rastislav Báchora die Nato und gibt fünf Gründe an, wieso die Allianz keine geeignete Alternative für die weitere Entwicklung der österreichischen Sicherheitspolitik wäre („Nicht alle Nato-Demokratien sind liberal“, 20. 3.). Er ist auch der Meinung, dass die „Umfassende Landesverteidigung (ULV) gemäß Bundes-Verfassungsgesetz Art. 9a einen pragmatischen Ansatz“ für die österreichische Sicherheitspolitik bietet. Nun habe ich in meinem Artikel die Mitgliedschaft in der Nato eigentlich gar nicht erst vorgeschlagen und habe nur skizziert, wie die Neutralität die Sicherheit Österreichs systematisch bedroht. Viel wichtiger ist aber die Frage, was es bedeuten würde, würden das österreichische Verteidigungsestablishment und die Politik im Glauben, dass man die jetzigen globalen Sicherheitsturbulenzen einfach aussitzen und durchwurschteln kann, den Kopf in den Sand stecken und sich auf die vermeintliche Perfektion des rot-weiß-roten Pragmatismus verlassen. Die Realität des europäischen Sicherheitsumfelds läuft Österreich nämlich davon.

Erstens, durch die russische Invasion in die Ukraine ist die Nato als Rückgrat der europäischen Verteidigung viel zentraler geworden. Im Unterschied zu Finnland und Schweden steht allerdings die Integration von Österreich in diesen Krisenzeiten nicht auf der Agenda der Allianz. Im Ernstfall – sei es die Verteidigung gegen Raketen-, Drohnen- und Cyberangriffe, sei es das Unterbinden der Aktivitäten der ausländischen Nachrichtendienste – ist Österreich auf sich selbst gestellt. Mit 0,7% des BNPs für die Verteidigungsausgaben jährlich ist man dafür aber gar nicht gerüstet. Zweitens, in verteidigungspolitischen Fragen in Europa wird es leichter, Österreich politisch zu isolieren. Derzeit blockiere etwa Rumänien jegliche Initiativen Österreichs im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden, wo Österreich und die süd- und osteuropäischen Länder mit der Nato zusammenarbeiten. Der Grund dafür dürfte das österreichische Veto zum Schengen-Beitritt Rumäniens Ende 2022 sein. Drittens, die Wahrnehmung der Neutralität in den Gesellschaften in den anderen neutralen Ländern Europas befindet sich seit Februar 2022 in einer deutlichen Änderung. Finnland und Schweden treten bald der Nato bei.

In der Schweiz zeigen Umfragen derzeit, dass ca. 31% der Bürger sich für einen Nato-Beitritt und ca. 55% für eine Annäherung an die Nato aussprechen. Die Neutralität wird in Europa zu einer Anomalie. Viertens, seit dem Ende des Kalten Kriegs gibt es eine Debatte zur Frage, ob Österreich von den Europäischen Partnern als schwarzer Passagier (free-rider) in der Verteidigung Europas gesehen wird (vgl. Studien von Ruth Wodak, Anton Pelinka oder Paul Luif). Dieses Imageproblem Österreichs dürfte sich angesichts der dramatisch verschlechterten Sicherheitssituation weiter verstärken. Fünftens, Österreich ist in der Praxis längst nicht neutral. Es hat z.B. die „Gemeinsame Erklärung zur Zusammenarbeit zwischen der EU und der Nato“ vom 10. 1. 2023 unterstützt – im Hinblick auf den Inhalt dieser Erklärung heißt es ja, u. a., dass Beziehungen zu Russland nicht einfach so weiter laufen können wie bis jetzt. Wenn das der Fall ist, dann ist natürlich auch die Frage, was Neutralität heute noch bedeutet.

Angesichts der Beschriebenen Dynamik wäre ein Weiter-so in der Sicherheitspolitik Österreichs eine Kapitulation. Ein Nato-Beitritt dürfte seitens der Allianz und der österreichischen Bürger aktuell schwierig sein. Eine Alternative wäre ein Mittelweg nach Schweizer Art in der Form einer Beibehaltung der Neutralität und Annäherung an die Nato. Ohne Änderungen wird es aber nicht gehen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2023)

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