Darf Frankreich den Antisemiten Céline feiern?

Der Autor von „Reise ans Ende der Nacht“ steht in Frankreich heuer auf der Liste der national zu Feiernden. Juden protestieren.

Wie wäre es, wenn Österreich Staatsfeiern für einen Schriftsteller abhielte, der vor und während des Zweiten Weltkriegs gesagt bzw. geschrieben hat: „Wir entledigen uns der Juden, oder wir verrecken durch die Juden“, „Ich will sie (die Juden, Anm.) erwürgen“, die Juden seien eine Rasse der „Monster“, die „verschwinden“ müsse, die deutschen Soldaten sollten sie erschießen oder aufhängen, oder: „Hätte ich Bajonette, ich wüsste, was ich zu tun hätte“?

Gott sei Dank hat Österreich keine solchen Schriftsteller, das heißt, es hat sie schon – aber sie lassen sich guten Gewissens ignorieren. Mit Céline ist das anders. Der Autor von „Reise ans Ende der Nacht“ bringt seine Heimat Frankreich auch ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod noch in Verlegenheit, weil er nicht nur der vielleicht niederträchtigste, verabscheuenswerteste Vertreter der Literatur des 20. Jahrhunderts ist, sondern gleichzeitig einer ihrer besten. Wie jedes Jahr hat auch heuer das den Archives de France unterstehende „Haut comité des célébrations nationales“ eine Liste der für das neue Jahr anstehenden, für das Land wichtigen Jahrestage von Personen, Ereignissen und Orten veröffentlicht. Plus einen Aufsatzband zu allen Jubilaren, den der französische Kulturminister Frédéric Mitterrand höchstpersönlich heute, Freitag, vorstellen wird. Einer der zu Feiernden: der vor 50 Jahren verstorbene Louis-Ferdinand Céline.

Céline soll sofort aus der Liste gestrichen werden, fordert nun der bekannte Nazijäger Serge Klarsfeld, der die Vereinigung der jüdischen Deportiertenkinder in Frankreich (FFDJF) leitet. Man müsse „Jahrhunderte warten, bis man gleichzeitig die Opfer und die Henker feiert“.

Was also tun? Auch Richard Wagner war Antisemit, und Minister pilgern nach Bayreuth. Aber bei Céline gibt es kein historisches Relativieren: Er war ein halb wahnsinniger, schrecklicher Antisemit, der Blut schrieb zu einer Zeit, als Blut floss. Trotzdem gibt es Juden, die ihn bewundern – etwa den US-Autor Philip Roth: Um Céline zu lesen, müsse er sein „jüdisches Bewusstsein abschalten, aber das tue ich, denn der Antisemitismus ist nicht der Kern seiner Romane“. Nur: Politiker dürfen nicht, was Autoren dürfen.

Was also tun? Frankreich könnte auf gut Österreichisch reagieren, etwa so: Céline bleibt offizieller Jubilar, wird als großer Stilist und Nihilist ebenso wie als psychotischer Antisemit diskutiert – aber der Kulturminister kommt nicht zur Pressekonferenz. Solche unentschiedenen, angeblich „österreichischen“ Lösungen haben keinen guten Ruf, sie gelten als unehrlich und feige. Manchmal sind sie aber doch die besten. Céline, das ist der auf die Spitze getriebene Streit zwischen Kunst und Moral. Diesen Streit soll man führen – aber sich lieber nicht wünschen, dass eine der Parteien einmal endgültig den Sieg davonträgt.

anne-catherine.simon@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2011)

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