Gastkommentar

Macron sollte ein Vorbild für Österreich sein

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Österreichs Pensionssystem ist auf Dauer unfinanzierbar. Jeder weiß das, doch die Politik traut sich nicht, es anzutasten. Frankreichs Präsident ist da anders.

Ist Österreich ein Kernland der Neoliberalen? Ein Ort sozialer Kälte? Ein Fleck auf der Erde, auf dem die Mitmenschen bis zum Umfallen arbeiten müssen? Nein, nicht einmal Arbeiterkammer und Gewerkschaften sehen oder argumentieren das so.

Die Autoren

Veit Dengler (*1968) ist Unternehmer und Mitgründer der Neos. Er war von 2013 bis 2017 CEO der NZZ-Mediengruppe. Rainer Nowak (*1972) ist Publizist. Er war von 2012 bis 2022 Chefredakteur der „Presse“.

Es müsste eigentlich so sein, wagt man den Blick auf Frankreich zu werfen. Dort brennen die Straßen, das ganze Land demonstriert, da Präsident Emmanuel Macron österreichische Verhältnisse einführen will. Oder zumindest Teile davon. Macron will eine Pensionsreform durchsetzen, die für künftige Betroffene tatsächlich Verschlechterungen bringen mag. Der Kern der Reform ist aber eine Selbstverständlichkeit: Das gesetzliche Pensionsantrittsalter soll von 62 auf 64 Jahre erhöht werden. Also auf ein Jahr unter dem in Österreich liegenden, einem Land, in dem wie in Frankreich die Lebenserwartung stetig steigt. Verfolgt man die Berichterstattung, wird auf diesen Umstand selten bis nie verwiesen – dass da ein europäisches Land an den Rand des Ausnahmezustandes gerät, weil ein Präsident das Natürlichste der Welt umsetzen will.

Würde er nichts unternehmen, beginge er fahrlässige politische Krida. Macron weiß um die künftige Zahlungsunfähigkeit des staatlichen Pensionssystems und handelt. Täte er das nicht, stünde er besser da. Womit wir in Österreich wären: Neben der nichtexistenten Neutralität sind die Pensionen, oder besser die Bezieher ebensolcher, die wahren heiligen Kühe des Landes. Das Weiden und Grasen auf den grünsten, von den Jungen gepflegten Almen steht in der heimlichen Verfassung.

Die Kosten für die Pensionen sind in Österreich schon längst nicht mehr durch die Beiträge der Versicherten gedeckt. Das Loch ist gigantisch: Der staatliche Zuschuss für die defizitären Pensionskassen sowie die Beamtenpensionen wird dieses Jahr 25 Milliarden Euro betragen. Das ist mehr als sämtliche Ausgaben für Kindergärten und Schulen (11,3), Universitäten, Hochschulen und Grundlagenforschung (6,0), Polizei und innere Sicherheit (3,3), das Bundesheer (3,2) und die Entwicklungszusammenarbeit (1,3) zusammen.

Wir arbeiten weniger lang

Nicht nur das, es soll auch sehr schnell sehr viel mehr werden: Bis 2027 wird der Staatszuschuss zu den Pensionen auf unglaubliche 37 Milliarden Euro springen. Das zum einen, weil es immer mehr Pensionisten gibt und geben wird. Die geburtenstarken Jahrgänge bis 1968 gehen sukzessive in Pension.

Dafür wird wesentlich weniger gearbeitet. Anfang der 1970er-Jahre verbrachte die Durchschnittsösterreicherin 25 Jahre in Kindheit, Ausbildung und Ruhestand, und 45 Jahre im Arbeitsleben. Heute sind wir 43 Jahre in Kindheit, Ausbildung und Ruhestand, arbeiten aber nur mehr 38 Jahre. Noch dazu steigen die Pensionen viel schneller als die Beiträge.

Obwohl es eine festgelegte Formel zur Anpassung der Pensionen an die Inflation gibt, verabschiedet die Regierung seit 2017 jedes Jahr außertourliche Pensionserhöhungen über die gesetzlich errechnete Erhöhung hinaus. Die Regierung gab zuletzt beim Thema Aliquotierung sofort nach.

Es gibt also immer mehr Pensionisten, wir arbeiten weniger lang, und die Pensionen steigen viel rascher als die Löhne. Wie kann das sein? Mit den Pensionisten gewinnt man jede Wahl, glauben fast alle Politiker. Egal wie laut ein Kanzlerkandidat im Wahlkampf „Reformen“ rief, kaum im Amt, wurde kein Millimeter in der Sache bewegt. Wolfgang Schüssel war der Letzte, der sich an das Thema wagte, die von ihm als notwendig erachteten Einschnitte wurden später teils rückgängig gemacht.

Jedes Jahr folgt derselbe Zirkus: Die Pensionistenverbände von ÖVP und SPÖ schauen kurz böse; Gewerkschaften zitieren den EU-Ageing-Report aus dem Jahr 2015, dass im Jahr 2060 die Pensionen eh wieder tragbar sein werden, die Meinungsforscher prognostizieren, wie viele Pensionisten wählen werden, die Politberater bekommen Angst; schon fällt die Regierung wieder um und erhöht Pensionen um mehr als Löhne und Inflation.

Neben den Milliardenausgaben der vergangenen Jahre mit ihren Monster-Gießkannen und Riesen-Bazookas in Pandemie und Energiekrise, die den Schuldenberg in die Himalaya-Liga wuchsen ließen, könnte ein weiteres Problem ein Umdenken einleiten: Österreich fehlen Zehntausende Arbeits- und Fachkräfte. Mit den starken Babyboomer-Pensionswellen verschärft sich die Situation massiv.

Onkel Staat kann unterstützen

Daher ein simpler Vorschlag: Warum nicht Emmanuel Macron zum Vorbild nehmen und in Österreich das gesetzliche Pensionsantrittsalter für Frauen und Männer um je zwei Jahre erhöhen, und danach so wie in anderen Ländern an die Lebenserwartung koppeln? Wer das gesundheitlich nicht schafft, wird ausgenommen. Onkel Staat kann diese Politik finanziell punktuell unterstützen. Das würde vielleicht die Akzeptanz der Generation 60 plus heben, die laut jüngstem „Spiegel“ angefeindet und diskriminiert wird. Auf Österreich umgemünzt: Wenn die alten weißen Männer weiter hackeln dürfen, kommen sie wenigstens auf keine blöde Ideen mehr.Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.04.2023)

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