Interview

Karl-Markus Gauß: „Die Minderheiten gehen mir auf die Nerven“

„Der Minderheiten-Wettkampf hat mittlerweile gesellschaftszerstörerische Dimensionen“, sagt Karl-Markus Gauß. Der Untergang der Sozialdemokratie habe damit zu tun.
„Der Minderheiten-Wettkampf hat mittlerweile gesellschaftszerstörerische Dimensionen“, sagt Karl-Markus Gauß. Der Untergang der Sozialdemokratie habe damit zu tun.(c) Carolina Frank
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Der Autor erzählt von bitteren Identitätskämpfen um die Art, ein Osterei anzumalen, sagt, wo er heute zu Gramsci gegen Lenin hält und schildert, wie Hans Magnus Enzensberger ihn beschimpfte.

Herr Gauß, Sie sehen unglaublich erholt aus. Man würde nicht ahnen, dass Sie noch 2022 so sehr schwer krank waren, nach einer schweren Herzoperation . . .
Den Herzinfarkt hatte ich ja interessanterweise am Tag nach der Hochzeit meines Sohns. Davor hatte ich schon tagelang starke Rückenschmerzen, die hatten damit zu tun. Aber mein Herz hat offenbar einen gewissen Charakter: Die Hochzeit wollte es mir nicht verpatzen!

Wie geht es Ihnen heute?
Gut. Man man mich oft gefragt, ob die Krankheit meine Einstellung zum Leben verändert hat, zum Tod - das hat sie gar nicht, eher hat die Krankheit bestätigt, was ich schon vorher wusste. Thomas Bernhards Satz „Es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt“ ist für mich Blödsinn. Wenn man an den Tod denkt, wird alles wichtig. Ich bin ein Anhänger des geglückten Lebens, und das Herrliche ist der Alltag. Auch auf den Intensivstationen habe ich das gemerkt. Die meisten Leute, denen es noch viel schlechter ging als mir und von denen dann auch einige starben, haben sich nicht nach dem einen tollen Abend gesehnt oder nach der Reise, die sie immer machen wollten. Sondern zum Beispiel danach: noch einmal, wenn's nach Kaffee riecht, zum Frühstückstisch zu gehen, beim Fenster hinauszuschauen und – es regnet . . .

Nach 30 Jahren als Herausgeber haben Sie sich aus der Zeitschrift „Literatur und Kritik“ zurückgezogen, sie wird nun von Ana Marwan geleitet. Werden Sie jetzt wieder mehr reisen?
Ich mache jetzt wieder mehr klassische Reiseprosa, aber über einzelne Persönlichkeiten, nicht mehr über Minderheiten. Über Minderheiten kann ich nur schreiben, wenn ich sie ein bisschen liebe. Und ab einem bestimmten Zeitpunkt sind sie mir auf die Nerven gegangen.

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