Teil des kulturellen Gedächtnisses

Künstlernachlässe: Werft nur nichts weg!

Die Mailänder Galerie 10 A. M. Art entdeckt gerade die Op-Art der 2002 verstorbenen Wienerin Helga Philipp für Italien neu.
Die Mailänder Galerie 10 A. M. Art entdeckt gerade die Op-Art der 2002 verstorbenen Wienerin Helga Philipp für Italien neu. Mattia Mognetti
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Die Erben von Künstlern haben es gemeinhin schwer: In Österreich gibt es keine einzige Anlaufstelle für die Nachlässe von Künstlern. Mit ihrem Ableben endet das Staatsinteresse. Damit geht ein wichtiger Teil des kulturellen Gedächtnisses verloren.

Ende März wollte Peter Weibel seinen Posten als Direktor des Zentrums für Kunst und Medien in Karlsruhe verlassen und sich in Wien wieder ganz seiner künstlerischen Arbeit widmen. Dazu kam es nicht. Er verstarb am 1. März. Zwei Wochen vorher kaufte das ZKM zehn seiner großen Medienkunstwerke und einen Teile seines Archivs. Was aber passiert jetzt mit seinem restlichen Werk? Wie werden seine 120.000 Bücher, seine Korrespondenzen, Skizzen und Notizen, seine Fotografien, Bilder, Skulpturen und Multimedia-Installationen verwaltet?

Gerade dokumentarische Nachlässe aus dem beruflichen Alltag sind heute gefragtes Quellenmaterial kunstwissenschaftlicher Forschung. Und wie wird alles gelagert? Noch ist Weibels Testament nicht eröffnet. Aber wie schwierig dieser Aspekt werden kann, zeigt der Fall von Julia Frank-Avramidis. Die Tochter des 2016 verstorbenen Bildhauers Joannis Avramidis liegt seit einigen Jahren im Rechtsstreit mit dem Bund über die Räumung des Praterateliers. Eigentlich nur auf Lebenszeit des Künstlers vermietet, lagern dort bis heute die Skulpturen. Aber nicht nur solche pragmatischen Fragen müssen im Fall eines Nachlasses geklärt werden. Es kommt der Blick in die Zukunft dazu: Wie kann der Ruhm der Verstorbenen über die Zeit erhalten, möglichst sogar vermehrt werden?

In Deutschland gibt es Unterstützung. In Deutschland gibt es in nahezu jedem Bundesland private Vereine, die zu solchen Fragen Unterstützung anbieten. In Österreich gibt es keine einzige Anlaufstelle für Künstlernachlässe. Studium, Berufseinstieg, Ausstellungen werden staatlich gefördert. Mit dem Ableben endet das Staatsinteresse. Auch können weder Museen noch Auktionshäuser bei allgemeinen Fragen weiterhelfen. Dabei ist die Frage der Nachlässe von zunehmender kultureller Bedeutung. Denn im 20. Jahrhundert wurde so viel Kunst produziert wie nie zuvor. Sucht man jetzt nach Werken unter verändertem Blickwinkel wie beispielsweise mit Fokus auf Kunst von Frauen, endet die Suche oft in derselben traurigen Sackgasse: Der Nachlass ist unauffindbar. Nicht einmal eine Datenbank zunächst marginal erscheinender Nachlässe existiert. Damit geht ein wichtiger Teil des kulturellen Gedächtnisses verloren. Manche Künstler wollen da vorsorgen wie etwa Ingeborg Strobl. Sie starb 2017 und vermachte ihr Archiv dem Mumok. Die zeigten es auch 2020 in einer großen Ausstellung. Allerdings geht mit dieser Schenkung ein Klumpenrisiko einher, es droht seither in den Tiefen des Museumslagers zu verschwinden.

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