Impfung

Kein Steuerrad für das Immunsystem

Close-up medical syringe with a vaccine.
Close-up medical syringe with a vaccine.(c) Getty Images/iStockphoto (MarianVejcik)
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Die Impfung, eine der erfolgreichsten medizinischen Entwicklungen, beeinflusst indirekt sogar Wahlen. Laut Analysen der letzten Landtagswahlen in Österreich gab es einen deutlichen Zusammenhang zwischen Wahlverhalten und Impfgegnerschaft.

Dabei ist die Corona-Impfung eine Erfolgsgeschichte – zumindest aus medizinischer Sicht: „Die Impfung hat bewiesen, dass sie in hervorragender Weise den Schweregrad einer Erkrankung beeinflussen kann“, resümiert Ursula Wiedermann-Schmidt, Professorin für Vakzinologie an der Med-Uni Wien.

Was entgegen den ursprünglichen Erwartungen der Öffentlichkeit und auch Teilen der Medizin nicht gelang, war ein Herdenschutzeffekt. Die Impfstoffe aller Hersteller konnten eine Infektion und damit die Weitergabe des Erregers nicht oder nur kurzfristig verhindern. Dafür nennt die Wissenschaftlerin zwei Gründe. Zum einen sei es die Fähigkeit des Coronavirus, sich schnell zu verändern.

Eine weitere Rolle spielte die Komplexität des Immunsystems. Die Corona-Impfstoffe werden in das Muskelgewebe injiziert und trainieren primär das systemische Abwehrsystem – bestimmte Zellen im Blut, Lymphknoten, Knochenmark – für die Bekämpfung des Virus. Aber der Körper hat noch eine andere wichtige Abwehr an den Schleimhäuten – das mukosale Immunsystem: Antikörper und Immunzellen, die in Speichel, Tränenflüssigkeit, in Schleimhäuten in Magen und Lunge dafür sorgen, dass viele Krankheitskeime bereits an der Eintrittspforte abgewehrt werden.

Spray für Schleimhautschutz? „Beide Abwehrsysteme stehen in Interaktion, aber im mukosalen Immunsystem werden Abwehrstoffe auch lokal gebildet“, erklärt Wiedermann-Schmidt. Eine intramuskuläre Impfung kann aber vor allem bei respiratorischen Erkrankungen wie Covid-19 dieses mukosale Immunsystem nicht genügend aktivieren. Dadurch kann es trotz Impfung zu einer Infektion in den oberen Atemwegen kommen, die auch weitergegeben werden kann. Studien sollen nun klären, ob eine Kombination aus intramuskulärem und nasalem Impfstoff den Schutz gegen Sars-CoV-2 oder andere respiratorische Viren weiter verbessern und sich auch die Weitergabe des Virus verhindern lässt.
Die Pandemie habe die Impfstoffentwicklung grundsätzlich befeuert, meint die Wissenschaftlerin. Besonders die schnelle Verfügbarkeit von mRNA-Impfstoffen gegen Covid-19 war wichtig: „Es hat sich gezeigt, dass mit diesen neuen Impfstoffen auch Menschen mit schwächerem Immunsystem einen hohen Impfschutz entwickeln“, sagt Wiedermann-Schmidt, „das ist mit konventionellen Impfstoffen nicht so gut gelungen.“

»Bei Covid-19 wurde einmal mehr bewiesen, dass Impfen wirkt. Bei anderen Infektionen wird seit Jahrzehnten erfolglos nach einem Impfstoff geforscht. Das Immunsystem ist ein höchst komplexes Wesen.«

Wolfgang Pozsogar


Bei Covid-19 verlief die Entwicklung neuer Impfstoffe schnell. Bei anderen Krankheiten wird schon seit Jahrzehnten ohne Erfolg nach einem Impfstoff gesucht. Ein Beispiel ist Malaria, hier steht nach vielen Jahren Forschung zwar ein Impfstoff zur Verfügung, der aber ebenso wie eine Reihe anderer in Testphasen befindlichen nicht den erhofften großen Durchbruch bringt. Alle diese Impfstoffe sind deutlich von einer befriedigenden Wirksamkeit entfernt. „Auch als Reiseimpfstoff ist ein solch niedriger Schutz keineswegs ausreichend – da sind wir weiterhin auf die Chemoprophylaxe angewiesen“, berichtet Wiedermann-Schmidt. Die große Herausforderung bei Malaria: „Die Krankheit wird nicht von Bakterien oder Viren verursacht, sondern von Parasiten“, erklärt die Wissenschaftlerin, „und diese haben die unangenehme Eigenschaft, dass sie in verschiedenen Entwicklungsstadien im Körper vorkommen.“ Die Schwierigkeit sei, das ideale Stadium zu finden, gegen das sich der Impfstoff richtet. Auch Menschen in endemischen Gebieten entwickeln keine vollständige Immunität, sondern nur eine sogenannte Infektions- oder Semi-Immunität. Dabei handle es sich um eine durch laufende Neuinfektion aufrechterhaltene Teilimmunität.

Andere Herausforderungen stellen sich bei der Entwicklung eines Impfstoffes gegen HIV. Hier handelt es sich zwar um ein Virus – das allerdings seine Tücken hat. Es ist etwa extrem variabel und schlägt dabei Sars-CoV-2 um Längen. In „MMW“, einem medizinischen Fortbildungjournal für Ärzte, wurden im Vorjahr beeindruckende Zahlen dazu publiziert. Demnach beträgt der Unterschied zwischen der in China erstmals aufgetauchten Sars-CoV-2- und der Omikron-Variante 0,5 Prozent, bei HIV-Viren unterscheiden sich Subtypen um etwa 15 Prozent, Viren innerhalb eines Subtyps um bis zu acht Prozent und selbst Viren im Patienten um bis zu ein Prozent.

Manche gegen HIV Immun. Eine HIV-Impfung ist aufgrund dieser Komplexität noch nicht in Sicht. Aber die Infektion lässt sich durch eine Kombinationstherapie mit antiviralen Medikamenten gut behandeln, die Virenlast im Körper ist so gering, dass die Betroffenen das Virus nicht mehr übertragen. Bei Absetzen der Therapie kommt es wieder zur Vermehrung des Virus, das sich in speziellen Zellen des Immunsystems versteckt. Verhindern lässt sich dieses Einnisten der Viren möglicherweise durch einen Therapiebeginn innerhalb von ein bis zwei Wochen nach der Ansteckung.

Aber es gibt Immunität gegen HIV – ohne Impfung: Jeder hundertste Europäer ist aufgrund einer Mutation des Immunsystems unempfindlich gegenüber diesem Virus. Bei Stammzellenübertragungen wurde diese Immunität bereits wiederholt auf Aids-Patienten übertragen. Solche nicht durch Impfung, sondern durch individuelle genetische Veränderungen geschaffene Immunität existiert bei manchen Menschen auch gegen andere Krankheiten, etwa Pest oder Tuberkulose. Auch bei Covid-19 spielen ererbte Eigenschaften des Immunsystems eine Rolle. Wissenschaftler haben bereits über 1300 Genvarianten gefunden, die das Risiko für schwere Verläufe erhöhen oder verringern.

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Selbst das Geschlecht spielt eine Rolle bei den Stärken und Schwächen des Immunsystem. Der „Männerschnupfen“ dürfte einen wahren Kern haben. Zumindest punkto Immunsystem soll das starke Geschlecht ein schwaches sein. Das zeigen unter anderem Auswertung in England, wonach Männer deutlich häufiger an Covid-19 und anderen Infektionskrankheiten sterben als Frauen.

Schwächer ab Menopause. Ursache könnten zum einen Hormone sein, Östrogen stimuliert die Aktivität des Immunsystems, das männliche Gegenstück Testosteron schwächt es. Das gilt aber nur bis zur Menopause, der niedrigere Östrogenspiegel könnte dann zu einer schwächeren Immunaktivität beitragen. Viele Frauen merken in den Wechseljahren, dass sie leichter als früher Infektionen bekommen, unter Hautreizungen oder Magen-Darm-Beschwerden leiden. Ein Grund dafür ist, dass durch den sinkenden Östrogenspiegel die Schleimhäute trockener werden. Das macht es Viren leichter, in das Gewebe einzudringen und etwa Bronchitis zu verursachen. Die Auswirkungen der Menopause auf das Immunsystem sind allerdings sehr individuell, Behandlungen von Vitaminen bis zu Hormongaben sollten deshalb mit dem Arzt besprochen werden.

Weiterer möglicher Pluspunkt des weiblichen Geschlechts: Viele am Immunsystem beteiligten Gene befinden sich auf dem X-Chromosom, der weibliche Körper erhält also mehr genetische Variationen. Diese Unterschiede machen sich vom ersten Lebenstag an bemerkbar und könnten erklären, warum die Kindersterblichkeit bei Buben höher als bei Mädchen ist. Kein Vorteil ohne Nachteil: Das stärkere Immunsystem könnte ein Grund sein, dass Autoimmunerkrankungen bei Frauen häufiger sind. Bei manchen Autoimmunerkrankungen sind bis zu 80 Prozent der Patienten weiblich.

Individuelle Faktoren. Die individuelle Schlagkraft körpereigener Abwehr wird von zahlreichen Faktoren beeinflusst, weiß Jens Thiel, Professor für Rheumatologie an der Med-Uni Graz. Der Wissenschaftler hat unter anderem Störungen der immunologischen Gedächtnisbildung erforscht, die zu Autoimmunität und Inflammation oder Immunschwäche führen. Das Immunsystem beschreibt er als „unglaublich komplexes System aus unterschiedlichen Zellen und löslichen Faktoren, das über Jahrtausende in Interaktion mit verschiedensten Umweltfaktoren unter anderem dem Mikrobiom entstanden ist.“ Dazu kämen individuelle Faktoren wie überstandene und chronische Erkrankungen und Impfungen.

An einzelnen Schrauben zu drehen, um dieses vielschichtige System zur Abwehr von Krankheiten zu beeinflussen, sei nur bedingt möglich. Impfungen sind ein bewährter Weg, um das Immunsystem gezielt fit gegen einzelne Erkrankungen zu machen. In der Krebstherapie wird das Immunsystem zur Tumorbekämpfung genützt. „Auch bei bestimmten Krankheiten können wir sehr gut eingreifen, etwa bei Antikörpermangel Antikörper ersetzen, um den Patienten vor Infekten zu schützen“, sagt Thiel. Aber das große Steuerrad für das Immunsystem gibt es laut dem Experten nicht.

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