Ein Jahr vor der Wahl stecken Europas Christ- und Sozialdemokraten in Bestechungs- und Führungskrisen.
„Ein Besuch“: so bezeichnete die Pressestelle der Europäischen Volkspartei (EVP) am Dienstagnachmittag in einer Aussendung die Razzia in ihrem Brüsseler Hauptquartier nahe dem Europaparlament. Der Anlass für diesen „Besuch“ waren die laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Erfurt gegen den Chef der CDU Thüringen, Mario Voigt, wegen des Verdachts der Bestechlichkeit. Er soll als Leiter der digitalen Wahlkampagne der EVP im Vorfeld der Europawahl 2019 einen Auftrag an einer Digitalagentur in Jena vergeben und dafür 17.000 Euro erhalten haben. Schon im Oktober hatte die Staatsanwaltschaft Hausdurchsuchungen bei Voigt in Thüringen durchgeführt. Er streitet alle Vorwürfe ab, und es gilt für ihn die Unschuldsvermutung. Der Name der Agentur ist der „Presse“ bekannt, eine am Dienstag ergangene Anfrage um Stellungnahme blieb bis Donnerstag unbeantwortet.
Für Manfred Weber, den Präsidenten der EVP, ist diese Affäre ein Jahr vor der nächsten Europawahl ein handfestes Problem. Denn er hatte Voigt 2019 persönlich auserkoren, um den Internet-Wahlkampf seiner Partei europaweit zu koordinieren. Allen voran eine App namens „Connect“, welche die CDU schon im Jahr 2014 im Thüringer Landtags- und 2017 im Bundestagswahlkampf eingesetzt hatte, um Sympathisanten miteinander zu vernetzen und sie für Debatten im privaten Kreis und am Stammtisch mit Argumenten und Positionen auf Parteilinie zu versorgen, sollte Voigt europaweit in allen Mitgliedstaaten ausrollen. Diese hatte allerdings im Jahr 2021 wegen ihres unzureichend gesicherten Umgangs mit Nutzerdaten für Alarm gesorgt. Mittlerweile hat die CDU sie gelöscht.