Replik

Warum Österreich zwei große Parteien der Mitte braucht

Die Wiederentdeckung grundlegender Werte als neuer Auftrag für SPÖ und ÖVP.

Der Autor

Dr. Peter Pelinka ist Journalist
und Medientrainer.

Wer braucht eigentlich noch SPÖ und ÖVP?“, fragt Christian Ortner („Quergeschrieben“, 31. 3.). Die Antwort geben die Zahlen der Parteimitglieder: Zumindest 150.000 in der SPÖ, einige mehr in der ÖVP (aufgeteilt auf die Bünde), dazu noch einige Tausend blaue, grüne und liberale. Mithin beträchtlich weniger (etwa um zwei Drittel) als noch vor 25 Jahren. Also Parteien als Auslaufmodell, zumindest die zwei großen, einst staatstragenden, wie der Papst des Ortnerliberalismus meint? „ÖVP wie SPÖ sind zu reinen Machtagenturen verkommen, deren einziger Daseinszweck ist, Wahlen zu gewinnen, um jene Macht zu erhalten, die zum Erhalt der Macht notwendig ist.“

Das ist es eben nicht. Zumindest nicht allein. Die so beschriebene Funktion von Parteien im politischen System (nicht nur dort) ist die eine Sache, mit all ihren „Unsauberkeiten“, unter dem Begriff Parteibuchwirtschaft zusammengefasst: Funktionen werden nicht nach Qualifikationen vergeben, sondern nach Loyalitäten, tatsächlichen oder vermuteten.

Hoffentlich geht es bei SPÖ wie ÖVP (auch bei FPÖ, Grünen und Neos) auch noch um andere Motive für Mitgliedschaften. Nicht um „Ideologien“ im Sinne längst zerbrochener geschlossener Weltanschauungen. Sondern um – Ortner verzeihe das altmodische Wort – „Werte“ wie die anzustrebende Gleichberechtigung von Geschlechtern, Ethnien und Religionen. Und darauf aufbauend um „Ideologien“, Meinungen über das gesellschaftliche Zusammenleben, die eine Partei bestimmend für ihr politisches Handeln anerkennt.

Der Beitrag zur Stabilisierung

Wer etwa Dunkelhäutige, Christen, Juden oder Moslems prinzipiell minderwertig findet, sollte sich wohl nicht in einer demokratischen Partei wiederfinden können. Auch nicht, wer kein Mindestmaß an Bereitschaft für eine Anerkennung unterschiedlicher Meinungen aufbringt. Das entspricht dem – noch (?)– gegebenen Stand der politischen Kultur in Österreich. Entsprechend dem, was Hubert Patterer in der „Kleinen Zeitung“ zu Recht als Beitrag der einstigen Großparteien zur Stabilisierung der Zweiten Republik würdigt, aus dem er die Verpflichtung ableitet, auch heute wieder „die Robustheit zu erhalten, dass sie in prekären Zeiten mehrheitsfähig zueinanderfinden, als Auftrag der Geschichte“.

Wenn Großparteien zerfallen

Diese historische Bedeutung will auch Ortner nicht ganz schmälern. Aber gäbe es nicht internationale Entwicklungen, die beweisen, dass auch historisch wesentliche Großparteien zerfallen können? Es gibt sie tatsächlich: etwa in Italien den Zerfall der einst großen Volksparteien der Christdemokraten und Eurokommunisten; oder in Frankreich die Dauerkrise der Konservativen und Sozialisten. Nur: So positiv haben sich die Dinge dort nicht entwickelt, im Gegenteil. Postfaschisten an der Regierung, gestützt auf den Uraltkorruptionisten Berlusconi, bürgerkriegsartige Zustände im Frankreich des Wendesozialisten Macron.

Offensichtlich sehnen sich viele Menschen auch nach geschützter Stabilität, nicht nach rechtspopulistischer Führungs-„Qualität“ à la Kickl, die alles aufsammelt, was sich an Protestpotenzial auftut, von Leugnern der Pandemie bis zu solchen des Klimawandels. Auch wenn es schwerfällt angesichts einer ÖVP, die schwer zu kämpfen hat (mit Korruptionsfolgen aus der „Ära Kurz“), und einer SPÖ, ebenso belastet durch die Folgen eines ungeordneten Versuchs von „Basisdemokratie“. Tatsächlich wäre eine Wiederentdeckung grundlegender Werte (nicht in Form einer Uraltkoalition, sondern einer möglichen Zusammenarbeit mit anderen demokratischen Gruppen) ein neuer Auftrag der Geschichte.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

>>> Mehr aus der Rubrik „Gastkommentare“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.04.2023)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.