Kreisky: Das Leben eines Bundeskanzlers in Schachteln

Ein „Landshut“-Telegramm an Helmut Schmidt, ein Gedicht von Maximilian Schell, eine Ansichtskarte vom Ort eines NS-Massakers – an der Rechten Wienzeile lagern polit-historische Schätze.

Wien. Das Telegramm, adressiert an den deutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt, trägt den Vermerk „Staatsvorrang“ und ist datiert mit 18. Oktober 1977. Wenige Stunden zuvor hat eine deutsche Spezialeinheit die von RAF-Sympathisanten entführte Lufthansa-Maschine „Landshut“ gestürmt. Bruno Kreisky richtet darin herzliche Glückwünsche an seinen deutschen Amtskollegen, „dass die Rettung so vieler Menschen gelungen ist“.

In einem Brief an Oscar-Preisträger Maximilian Schell bedankt sich Bruno Kreisky für die Zusendung des Gedichts „Absage“ von Hermann Hesse: „Ich danke Ihnen sehr, dass Sie mir dieses ahnungsvolle Gedicht geschickt haben.“

Der Kabarettist Werner Schneyder bittet Kreisky brieflich, ihm dabei behilflich zu sein, den schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme als Gast für seine neue Fernseh-Talk-Show zu gewinnen. Nicht ohne dabei auf seine nächsten Kabarettprogramme hinzuweisen und mit einer Ergebenheitsadresse zu enden.

Der Schriftsteller Ernst Jandl sucht eine größere Wohnung – mit besserem Lärmschutz vor allem, denn ein Dichter und Sprachkünstler ist bisweilen etwas lauter – und wendet sich ebenso hilfesuchend per Brief an den Bundeskanzler.

Die sozialdemokratische Widerstandsikone Rosa Jochmann hat dem „Sehr geliebten Gen. Kreisky“ eine Ansichtskarte aus Italien gesandt, sie war in Marzabotto, jenem Ort, in dem die SS gemeinsam mit der Wehrmacht eines der schlimmsten Massaker im Zweiten Weltkrieg verübt hat. „Dein Besuch würde die leidgeprüfte Bevölkerung beglücken. Beglücke Sie also!“, schreibt Jochmann an Kreisky.

All diese Schriftstücke finden sich in den sogenannten „Promi-Boxen“ im Bruno-Kreisky-Archiv. Drei Schachteln sind unter anderem Jörg Haider gewidmet, eine Walter Reder, der als Kriegsverbrecher in Italien einsaß und von dort aus den österreichischen Kanzler um Hilfe bei der Freilassung bat.

Von der Tischrede beim Staatsbankett für Olof Palme über die Korrespondenz mit dem Ökonomen John Kenneth Galbraight bis zum Vortrag bei der Metallarbeitergewerkschaft – all dies hat Bruno Kreisky in seiner Amtszeit selbst gesammelt beziehungsweise sammeln lassen. Nach seinem Abschied aus dem Kanzleramt wurden diese Aufzeichnungen bei seinem Freund, dem Industriellen Karl Kahane am Schwarzenbergplatz zwischengelagert, nach Gründung der Bruno-Kreisky-Stiftung kamen sie vor 25 Jahren hierher ins Kreisky-Archiv an der Rechten Wienzeile 97, ins „Vorwärts“-Gebäude, wo seinerzeit auch die Führung der Sozialdemokratischen Partei untergebracht war.

Wie sich an den unzähligen Schriftstücken ersehen lasse, habe Kreisky ein „unglaubliches Arbeitspensum“ hingelegt, meint Maria Steiner, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Kreisky-Archiv. Der damalige Kanzler sei sich aber auch seiner historischen Bedeutung sehr bewusst gewesen, sonst hätte er wohl nicht alles so akribisch aufbewahrt. Neben der Stellage mit Fotoalben – teils privat, etwa aus dem schwedischen Exil, teils von Staatsbesuchen – ist die außenpolitische Abteilung der Stolz der Archivare. Vor allem diese – mit Boxen von der UdSSR über Nahost bis Südtirol – würde Interessenten aus der ganzen Welt anlocken. Darin finden sich Reden, Bewertungen, Zeitungsausschnitte und vieles mehr.

Das Bruno-Kreisky-Archiv, heute geleitet von der Historikerin und Universitätsdozentin Maria Mesner, ist für jedermann zugänglich. Rund 300 Anfragen gebe es pro Jahr, in den letzten Wochen sei der Andrang aber deutlich größer gewesen, erzählt Steiner. 20 Anfragen habe es zuletzt pro Tag gegeben.

Fehlende Finanzierung

Finanziert wird das Institut zur Hälfte über die Basisförderung vom Bund und durch gesponserte Forschungsprojekte. Wie die anderen außeruniversitären Forschungsinstitute ist nun jedoch auch das Kreisky-Archiv ein Opfer des Sparzwangs der Bundesregierung.

Die 100.000-Euro-Basisförderung habe bisher allein die Infrastrukturkosten abgedeckt. Mit der – mittlerweile gesicherten – Projektfinanzierung allein werde man daher nicht das Auslangen finden können, meint Steiner, die sich wie ihre sechs Kollegen nicht nur um die Zukunft der Schätze des Kreisky-Instituts sorgt, sondern auch um ihre eigene berufliche.

Auch Helmut Schmidt hat seinerzeit übrigens gerne Telegramme an Bruno Kreisky geschickt. Als Kreisky für einige Tage in Berlin weilte und Schmidt in Bonn davon Wind bekam, sandte er ihm ein Telegramm ins Hotel und wünschte einen „schönen Aufenthalt“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2011)

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