Schüssel: Kreiskys Verdienst war die Öffnung der SPÖ zum dritten Lager

Schuessel Kreiskys Verdienst oeffnung
Schuessel Kreiskys Verdienst oeffnung(c) APA/ROBERT JAEGER (ROBERT JAEGER)
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Wolfgang Schüssel, Kanzler von Februar 2000 bis Jänner 2007, sieht ÖVP-Kanzler Klaus als Wegbereiter der Kreisky-Reformen; die ÖVP habe die SPÖ in vielem unterstützt.

Die Presse: Laut einer aktuellen Umfrage schätzt eine breite Mehrheit der Österreicher Bruno Kreisky als den bisher besten Kanzler ein. Sie liegen im guten Mittelfeld; hat man gegen die Legende Kreisky einfach keine Chance?

Wolfgang Schüssel: Die Umfrage kenne ich nicht. Als junger Mitarbeiter im Parlament habe ich Bruno Kreisky erlebt – zunächst als Oppositionsführer, später als Kanzler. Ich habe auf dem Ballhausplatz sogar Demonstrationen für Rudolf Sallinger organisiert. Jede Zeit hatte ihre prägenden Persönlichkeiten: Nach dem Krieg waren das Figl und Raab, dann kam schon ein gewisser Stillstand in der Großen Koalition. Es folgten die Beinahespaltung der SPÖ durch die Olah-Krise und dann die absolute Mandatsmehrheit für Josef Klaus. Der Reformer Klaus legte den Grundstein für den Reformer Kreisky. Für mich ist Kreisky ohne Klaus nicht denkbar. Erst die Absolute für Klaus hat Kreisky an die Spitze der SPÖ gebracht. Und: Viele Reformen hatte Klaus vorbereitet; das Südtirol-Paket etwa oder die Koren-Wachstumsgesetze, die es Kreisky und Hannes Androsch ermöglichten, zwei Legislaturperioden aus dem Vollen schöpfen zu können. Daher sollte man Josef Klaus, dessen 100. Geburtstag im Vorjahr in der „Presse“ leider nicht mit einer siebenseitigen Strecke gewürdigt wurde, die Anerkennung schenken, die er sich verdient hat. Für die SPÖ war Kreisky sicher der bedeutendste Politiker der Zweiten Republik, weil er die Partei nach einer vernichtenden Niederlage ins politische Zentrum gerückt hat, sie von der alten austromarxistischen Veteranenpartei weggebracht hat. Das war seine große Leistung. Für die SPÖ war es dann wichtig, einmal allein Verantwortung für den Staat zu tragen.

Dann war also die Vermarktung Bruno Kreiskys besser als jene von Josef Klaus?

Darauf legt die Geschichte keinen Wert. Es ist selbstverständlich, dass man sich an solche Staatsmänner erinnert. Es müssen sich auch die Medien fragen, warum Klaus nicht so viel Interesse bekommen kann, wie er verdient hätte. Aber sonst sind auch solche Feiern nach 14 Tagen vergessen. Österreich ist gut gefahren mit seinen unterschiedlichen Persönlichkeiten. Beide hatten auch exzellente Leute um sich. Kreisky etwa Herta Firnberg, Hannes Androsch oder Christian Broda, Klaus hatte einen Josef Taus, Stephan Koren, Alois Mock.

Gelang es der SPÖ mit Bruno Kreisky nicht erstmals, ins Bürgertum einzudringen oder sogar ein neues rotes Bürgertum zu schaffen, das später großteils zu den Grünen wechselte?

Das hat es doch immer gegeben: den Bund Sozialistischer Akademiker, die Studentenorganisationen, den Thinktank der Arbeiterkammer oder die verstaatlichte Industrie. Kreiskys eigentliche Bedeutung liegt in der Innenpolitik – und übrigens sicher nicht in der Außenpolitik: Sein entscheidender Schritt war die Öffnung der SPÖ in Richtung des dritten Lagers. Das war eine durchaus sinnvolle Veränderung. Das hat die ÖVP damals verabsäumt, obwohl eine Annäherung zwischen der Partei und der FPÖ logischer gewesen wäre. Die FPÖ hat 1970 gelobt, keinen roten Kanzler zu wählen. Aber Bruno Kreisky hat die Chance genutzt; nach seinem Verlust der Absoluten kam dann 1983 auch folgerichtig eine rot-blaue Koalition. Diese Möglichkeit war dann natürlich auch für uns offen. Diese Ausgrenzung einer demokratisch legitimierten Partei habe ich immer für einen Fehler gehalten. Das wurde von Kreisky beendet.

In der SPÖ wird das aktuell anders gesehen.

Ich halte es dennoch für richtig. Eine solche Annäherung muss immer möglich sein. Das galt für die SPÖ, und das galt für uns. Es war dann aber auch Auslöser für einen großen schwarzen Punkt der Kreisky-Jahre: die Wiesenthal-Affäre. Der zweite Fleck war sicher die strukturellen Probleme, die damals begannen: die Krise der verstaatlichten Industrie und das Budgetproblem. Man hat gemerkt, dass Kreisky mit der Wirtschaftspolitik nichts am Hut hatte. Das war auch das Hauptproblem zwischen Androsch und Kreisky: Androsch hat darauf gedrängt, dass der Sozialstaat finanzierbar bleibt. Kreisky ging es nur um die Umverteilung. An diesem Erbe kauen wir noch heute.

Wobei die Höhe der Schulden im Vergleich zu heute fast überschaubar war und in den Jahrzehnten darauf weitere Defizite folgten.

Das stimmt so nicht: Damals wurden die gesetzlichen Strukturen geschaffen und begann eine Ausgabendynamik, die wir bis heute nicht stoppen konnten. Hätte es die damaligen Schulden nicht gegeben, würden wir heute ganz anders dastehen. Die Schuldenquote unter Klaus lag unter zwölf Prozent, nach Kreisky bei 45Prozent. Einen solchen Anstieg in so kurzer Zeit hat es vorher oder nachher nie gegeben.

Sie haben Christian Broda als herausragende Persönlichkeit genannt, er und seine Reformen werden von Ihrer Partei fast reflexartig abgelehnt.

Das ist falsch.

Sagen Sie den Namen Broda einmal in Gegenwart eines ÖVP-Funktionärs.

Sie meinen wahrscheinlich den Charakter, über den habe ich auch eine eindeutige Meinung, aber darüber rede ich nicht. Ich meine den exzellenten Juristen und Politiker. Es gab eine ganze Reihe von Gesetzen, etwa im Familienrecht, die von der ÖVP – Peter Radel – vorbereitet waren und von der SPÖ nur aus der Schublade geholt werden mussten. Die meisten Dinge sind völlig außer Streit gestanden, in einigen wichtigen Punkten wie der Abtreibungsfrage gab es einen Dissens. Aber ansonsten war das eine gemeinsame Geschichte. Das war übrigens nicht Kreisky, der hatte mit Justizpolitik auch nichts am Hut. Das waren Broda und sein geniales ÖVP-Gegenüber Walter Hauser.

Damit sagen Sie, dass die ÖVP eine ähnliche Regierungsarbeit gemacht hätte wie Kreisky.

Sicherlich mit anderen Akzenten. Aber das Was-wäre-wenn interessiert mich nicht. Ich rege nur an, es gesamt zu sehen: Ich will Kreisky nichts von seinen Verdiensten und von seiner Bedeutung nehmen, aber er konnte auf den Reformen von Josef Klaus aufbauen.

Wirklich gut funktionieren Reformen nur in einer Alleinregierung.

Das ist nicht wahr. In den Jahren nach der rot-blauen Regierung haben wir als Große Koalition den Reformschritt in die EU gesetzt. Auch 2000 bis 2007 sind uns in der schwarz-blauen Regierung viele Reformen gelungen.

Zur Person

Wolfgang Schüssel (65) war von 1995 bis 2007 Parteichef der ÖVP und von Februar 2000 bis Jänner 2007 Bundeskanzler. Als solcher war er im ersten Halbjahr 2006 Präsident des Europäischen Rates. Seit Oktober 2006 ist Schüssel wieder Abgeordneter zum Nationalrat, bis 2008 war er ÖVP-Klubobmann. [ Bruckberger]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2011)

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