Jüdische Perspektive: Unser Schmerz mit Kreisky

Bruno Kreisky versuchte sein Jude-Sein so gut wie möglich zu vertuschen und machte ehemalige Nazis in Österreich salonfähig.

Wien. Bruno Kreiskys Qualitäten und Leistungen als österreichischer Politiker scheinen unbestritten. Für 59 Prozent der Österreicher war er der beste Bundeskanzler der 2. Republik. Für die jüdische Gemeinschaft war die Kreisky-Ära jedoch vor allem eines: eine ziemliche Qual.

Wie unterschiedlich die Wahrnehmung der Kreisky-Zeit ist, mag folgende Sequenz illustrieren: Mitten in der Zeit der schwarz-blauen Regierung erzählte Alfred Gusenbauer vor jüdischem Publikum wieder einmal seine Geschichte: 1960 geboren, zehn Jahre alt, als Kreisky Bundeskanzler wurde, sei er als Teenager zum ersten Mal ins Ausland gefahren und als er erwähnte, dass er aus Österreich komme, habe man mit Hochachtung geantwortet: „Ah, Österreich, ah, Kreisky!“

Daraufhin musste ich Gusenbauer meine Geschichte erzählen. Auch 1960 geboren, auch zehn Jahre alt, als Kreisky Bundeskanzler wurde, nahm mich mein Vater auf die Seite, als ich mit 14 zum ersten Mal allein nach Israel fuhr und sagte mir: „Hör zu! Wenn dich jemand fragt, woher du kommst, dann sag, du bist aus der Schweiz, sonst redet dich jeder blöd an wegen dem Kreisky.“

Der Umgang der jüdischen Gemeinschaft mit Kreisky war von Anfang an schwierig. Mit Genugtuung, aber auch gehöriger Verwunderung wurde registriert, dass Kreisky als Jude, 25 Jahre nach der Shoah, Bundeskanzler Österreichs werden konnte. Eines Österreich, in dem es meinem Vater damals noch völlig logisch erschien, sich im Falle gerichtlicher Auseinandersetzungen einen bekennenden Altnazi als Anwalt zu nehmen, weil er sich sonst, angesichts der zahlreichen noch vorhandenen Nazirichter, keinerlei Chancen vor Gericht ausrechnete, zu seinem Recht zu kommen.

Kein echter „Unsriger“

Kreisky war jedoch von Anfang an kein echter „Unsriger“. Die jüdische Gemeinde Wiens nach der Shoah war nicht geprägt von Persönlichkeiten, die die Assimilation suchten und ihr Judentum vertuschen oder ablegen wollten. Unsere Eltern und Großeltern kamen zum allergrößten Teil aus den Kronländern der Habsburgermonarchie, wo sie den Kern des Bildungsbürgertums, der Intellektuellen, Künstler, Musiker usw. gebildet hatten, oder sie kamen aus dem „Städtel“. Sie hatten das Wüten der Antisemiten und Nazis ebendort erlebt und von Wien noch immer das verklärte Bild als der Hauptstadt der Monarchie, als Zentrum der Kunst, der Kultur, der Freiheit und des Liberalismus. Eines hatten sie jedoch alle begriffen: So sehr sie auch angesichts des Erlebten von Gott und ihrer Religion enttäuscht waren, die Assimilation, der Versuch, das Judentum abzulegen und damit dem Antisemitismus den Boden zu entziehen – diese Idee war für sie seit den Nazis endgültig obsolet geworden.

Für die Juden war also von Anfang an klar: Kreisky war ein Jude, der versuchte, in einem noch immer antisemitischen Österreich politische Karriere zu machen. Er versuchte daher sein Jude-Sein so gut wie möglich zu vertuschen, ließ sich wenn, dann verharmlosend, nur mit „jüdischer Abstammung“ oder „jüdischer Herkunft“ bezeichnen.

Diese Haltung Kreiskys hatte auf die damals heranwachsende Generation jüdischer Jugendlicher und Studenten einen großen Einfluss. So gut sich diese zweite Generation in Österreich integriert hatte, man ging in die öffentlichen Schulen – jüdische gab es damals noch gar keine – ein hoher Prozentsatz studierte erfolgreich, und es gab größtes Interesse an Politik und den gesellschaftlichen Veränderungen, so sehr wusste man: Wollte man in die österreichische Politik gehen, müsse man sein Judentum fallen lassen.

Dass Kreisky gleich vier ehemalige NSDAP-Mitglieder in seine erste Regierung aufnahm, bestätigte schon zu Beginn die Befürchtungen der jüdischen Gemeinschaft. Dann sperrte Kreisky nach einer Geiselnahme im Jahr 1973 das Durchgangslager für sowjetische Juden in Bad Schönau. Die Missstimmung gipfelte in der Parteinahme Kreiskys für das ehemalige Mitglied einer SS-Mordbrigade, Friedrich Peter, gegen dessen Aufdeckung durch Simon Wiesenthal. Kreisky hatte damit die ehemaligen Nazis nicht nur salonfähig gemacht. Mit der darauffolgenden, von ihm orchestrierten Hexenjagd auf Wiesenthal wandte er sich ganz offen gegen die jüdische Gemeinschaft insgesamt, beschimpfte sie mit Aussprüchen wie die Juden seien „kein Volk und wenn, dann ein mieses“ und prägte damit eine ganze Politikergeneration der SPÖ und die österreichische Politik insgesamt auf verheerende Art und Weise.

So muss sich der damalige Klubobmann der SPÖ und heute amtierende Bundespräsident den Vorwurf gefallen lassen, in dieser üblen Kampagne mitgewirkt zu haben – er fand bis heute keine klaren Worte der Distanzierung hierzu. Nicht wenige Juden weigerten sich deshalb, Fischer bei den Bundespräsidentschaftswahlen zu unterstützen.

Blankes politisches Kalkül

Aber vor allem muss Kreisky der Vorwurf gemacht werden, dass er die ehemaligen und zum Teil Noch-immer-Nazis hoffähig gemacht hat und das wohlgemerkt nicht als Geste der Versöhnung, wie er es gern dargestellt hat, sondern aus blankem politischen Kalkül der Mehrheitsbeschaffung.

Viele verklärte Anhänger Kreiskys versuchen seine problematische Haltung zu seinem Judentum und der jüdischen Gemeinschaft gegenüber zu erklären und zu begründen und ihn in die Tradition von Persönlichkeiten wie Victor Adler, Otto Bauer, aber auch Karl Kraus und Sigmund Freud zu stellen. Hier ist jedoch ein klares Wort nötig: Erstens haben all diese Persönlichkeiten vor dem 2. Weltkrieg gelebt, und zweitens gab es bei den sicherlich vielen Gemeinsamkeiten durchaus unterschiedliche Umgangsformen mit ihrem Judentum.

So schrieb Freud 1930 im Alter von 64 Jahren: „Keiner der Leser wird sich so leicht in die Gefühlslage des Autors versetzen können, der die heilige Sprache nicht versteht, der väterlichen Religion – wie jeder anderen – völlig entfremdet ist, an nationalistischen Idealen nicht teilnehmen kann und doch die Zugehörigkeit zu seinem Volk nie verleugnet hat, seine Eigenart als jüdisch empfindet und sie nicht anders wünscht.“

Solche Worte hätte man von Kreisky nie gehört.

Zum Autor

Martin Engelberg ist Coach und Psychotherapeut in Wien. Er ist Geschäftsführer der Wiener Psychoanalytischen Akademie und der Vienna Consulting Group sowie Mitherausgeber des in Wien erscheinenden jüdischen Magazins für Politik und Kultur „NU“. [Engelberg]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2011)

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