Gusenbauer: Kreisky hätte die Konsolidierungspolitik sicher unterstützt

Gusenbauer Kreisky haette Konsolidierungspolitik
Gusenbauer Kreisky haette Konsolidierungspolitik(c) Photo: Michaela Bruckberger
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Alfred Gusenbauer, Bundeskanzler von Jänner 2007 bis Dezember 2008, über das Visionäre an Kreisky als Anhänger des Freihandels und eines Palästinenserstaates.

Die Presse: Sind wir Zeugen einer sozialdemokratischen Heiligsprechung? Eines Agnostikers?

Alfred Gusenbauer: Nein. Bruno Kreisky war eine außerordentliche politische Persönlichkeit, das ist unbestreitbar. Zum einen hat er das Land in einen Modernisierungsprozess geführt. Zum anderen hat er Österreich international größer gemacht, als es war. Natürlich hatte er persönliche Schwächen. Das ist keine Heiligsprechung, sondern eine Würdigung mit Distanz. Ich erinnere daran, dass er knapp nach seiner Amtszeit keineswegs eine so gute Nachrede gehabt hat.

Sie sagen, er habe das Land größer gemacht. Ist es dann wieder kleiner geworden?

Vielleicht. Kreisky hat außenpolitisch viele Dinge sehr früh erkannt: Er hat sehr früh Engagement für die Lösung der Palästinenserfrage gezeigt, das war damals ein höchst seltener und gewagter Ansatz. In der Zwischenzeit gibt es kaum mehr jemanden, der bestreitet, dass ein eigener Palästinenserstaat zentraler Bestandteil einer Lösung im Nahost-Konflikt ist. Auch sein gemeinsamer Einsatz mit Willy Brandt um Ausgleich im Nord-Süd-Konflikt war nicht unumstritten. Heute wissen wir, dass wir das Wachstum der Weltwirtschaft den ärmeren Ländern wie China und Brasilien verdanken. Auch im Ost-West-Konflikt war er einer der Architekten der Entspannungspolitik. Er war bedeutend größer, als es die Größe des Landes vermuten ließ.

Wachstum der Weltwirtschaft dank ärmerer Länder: Sie glauben, Kreisky hätte im Gegensatz zu vielen in der SPÖ der Globalisierung viel Positives abgewinnen können?

Er war ein Anhänger des Freihandels. Ich glaube, dass er – ohne ihn überinterpretieren zu wollen – der Weltwirtschaft immer positiv gegenüberstand. Es ist eine Tatsache, dass die Globalisierung gute Voraussetzungen schafft, dass Ärmere aufsteigen können, und längst auch soziale Parameter hat. Das sieht man an Brasilien: Der Aufstieg des Landes wäre ohne das große Sozialprogramm der vergangenen Jahre nicht denkbar gewesen. Social Empowerment muss Teil einer Globalisierung sein, es ist das Erfolgsprogramm für Wachstum.

Die Globalisierung wird in Ihrer Partei aber sonst nicht so positiv gesehen?

Ich mische mich in die Innenpolitik nicht ein und kenne nicht alle aktuellen Positionen der SPÖ, aber nach meiner Ansicht führt Globalisierung verbunden mit Anstrengungen für soziale Gerechtigkeit zu wirtschaftlichem Aufstieg. Das gilt nicht nur für Brasilien, sondern auch für andere Länder. Europa gelingt dies nicht mehr.

Wäre Bruno Kreisky heute Kanzler, hätte er es mit der modernen Gesellschaft nicht ungemein schwerer?

Dass Politik heute anspruchsvoller ist, liegt auf der Hand. Wir haben es mit einer gnadenlosen Mediengesellschaft zu tun. Und: Kreiskys Modernisierungspolitik hat in Österreich auch bewirkt, dass sich die Bürger von einem Untertanenstaat in Richtung einer aufgeklärten Gesellschaft entwickelten. Das macht das Regieren als Kanzler – zum Glück – nicht leichter.

Wenn es heute noch eine Form von Untertanenpolitik gibt, ist das doch wohl eine soziale: dass man sich immer auf den Staat verlässt, der einem finanziell hilft und einen trägt. Hätte Kreisky diese Untertanenpolitik mehr geschätzt?

Das Sozialprogramm Kreiskys hieß: Leistung, Aufstieg, Sicherheit. Er hat Sozialpolitik auch als ökonomische Produktivkraft verstanden. Natürlich hat die Sozialpolitik eine Versorgungsfunktion in unserer Gesellschaft. Die bedarfsorientierte Mindestsicherung sollte etwa auch als Aktivierung gemeint sein, sich weiterzubilden und wieder in einen Beruf einzusteigen. Man muss einen genauen Blick darauf haben, wo der Sozial- und Wohlfahrtsstaat neue Ungleichheit in der Gesellschaft schafft. Da gibt es permanenten Reformbedarf. Wir werden darauf schauen müssen, welche Leistungen man hinterfragen darf und muss. Damit die Luft für neue Herausforderungen da ist. Wir sollten nicht nur die Ungerechtigkeiten sehen, die die freie Marktwirtschaft produziert, sondern auch die, die der Wohlfahrtsstaat hinterlässt. Und dieser Reformelan war Kreisky immer wichtig.

Reformelan wäre nicht das Wort, das mir zur Beschreibung der österreichischen Innenpolitik einfällt. Geht es Ihnen ähnlich?

Sie versuchen mit durchaus legitimen, aber durchschaubaren Mitteln mich zur Kommentierung der österreichischen Innenpolitik zu bewegen. Ich werde dieser Versuchung widerstehen.

Das ist schön und schade zugleich. Würden Sie sich als Erbe Bruno Kreiskys sehen? Oder als Nachlassverwalter?

Als sozialdemokratischer Bundeskanzler habe ich versucht, Reformen anzugehen, die 2006 notwendig gewesen wären. Da ist nicht alles gelungen, aber einiges. Die Zeit war auch bei manchen Vorhaben zu kurz.

Sie betonen immer die Produktivkraft und die Wirtschaft. Das Schuldenmachen hat unter Kreisky begonnen, allerdings mit einem im Vergleich zu heute geringen Ausmaß. Glauben Sie, dass Kreisky Defizitpolitik geschätzt hätte?

Kreisky hat sich als Keynesianer bekannt. Im Kern heißt das bekanntlich, dass zum Zeitpunkt einer zyklischen Krise der Marktwirtschaft die öffentliche Hand Nachfrage schafft. Aber in guten Zeiten müssen wieder Schulden abgebaut und Handlungsspielräume geschaffen werden. Kreisky hätte eine Konsolidierungspolitik sicher unterstützt. Er hat verstanden, dass man Defizite nicht als Dauerzustand akzeptieren kann.

Hätte es Kreisky gern gesehen, wenn einer seiner Schüler und Nachfolger dereinst als Berater für die kasachische Regierung arbeitet, die nicht gerade für die Menschenrechtspflege bekannt ist?

Man kann immer alles boshaft auslegen. Erstens war Bruno Kreisky dafür bekannt, Entspannungspolitik zu betreiben. Er ist in den Dialog mit kommunistischen Regimen, aber auch Jassir Arafat oder Muammar Gadhafi eingestiegen. Man muss mittels umfassender Gespräche und voller Kommunikation für Frieden kämpfen. Wenn ich nur daran erinnern darf – ich habe gehört, dass es Empörung gegeben hat: Ich arbeite seit mehr als einem Jahr für die kasachische Regierung. Sie hatte den Vorsitz in der OSZE, der Bundespräsident besuchte sie mit großer Wirtschaftsdelegation. Ich bin erstaunt, dass wirtschaftliche Verbindungen zu Kasachstan gerade noch salonfähig waren und es nun in meinem Fall anders gesehen wird. Von der österreichischen Berichterstattung bin ich Derartiges aber gewohnt.

Zur Person

Alfred Gusenbauer (50) war von 2000 bis 2008 Parteichef der SPÖ und von 2007 bis 2008 Bundeskanzler. Er ist damit der am kürzesten amtierende Regierungschef der Zweiten Republik. Seit Juli 2010 ist er Aufsichtsratschef der Strabag. Für Kritik sorgt sein derzeitiges Engagement als Berater der kasachischen Regierung. [Fabry]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2011)

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