Turrini: „Das sind in Wahrheit eher Grabesfeiern“

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bdquoDas sind Wahrheit eher(c) Clemens Fabry
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Der Schriftsteller Peter Turrini, einst als Staatskünstler diffamiert, über seine Gespräche mit Kreisky, das „scheußliche ÖVP-Österreich der Fünfzigerjahre“ und die heutigen oft „blöden“ und ungebildeten Politiker.

Die Presse: Wer hat eigentlich den Begriff Staatskünstler erfunden?

Peter Turrini: Ich vermute, die „Kronen Zeitung“. Das war ein Versuch, nicht das Werk eines Künstlers zu kritisieren, sondern den Menschen dahinter zu desavouieren. Ich habe nie Gelder vom Staat bekommen, meine Stücke wurden schon damals viel gespielt. Später hat die FPÖ das Wort „Staatskünstler“ übernommen und die Subventionen, die beispielsweise das Burgtheater zur Aufführung meiner Stücke bekommen hat, als mein privates Einkommen bezeichnet. Das fand ich nur noch kriminell.

Sie haben Kreisky oft getroffen. Was war an ihm so faszinierend für die Künstler?

Es bestand damals das Bedürfnis der Politik wie der Kunst, sich einander zu erklären. Kreisky hat mit uns Künstlern aktuelle politische Fragen durchdiskutiert und er hat mit uns über unsere neuesten künstlerischen Arbeiten geredet. Er wusste, wer an welchem neuen Stück schreibt, eine Platte herausbringt. Das hat uns sehr geschmeichelt.

Sie waren damals Kommunist.

Nach 1945 gab es eine Restauration auf allen Ebenen und nichts war scheußlicher als dieses ÖVP-Österreich der Fünfzigerjahre. Da konnte man nur zum Anpassler werden oder eine radikal linke Position einnehmen. Die wiederaufbauenden Väter wollten Ruhe haben und mit uns nicht über die Verbrechen des Nationalsozialismus reden. Die Aufarbeitung begann erst in den Sechziger- und Siebzigerjahren. Vorher war Schweigen und Kreisky war der Erste aus dieser schweigenden Vätergeneration, der das Gespräch mit den Jüngeren eingeleitet hat.

Hätten Sie bei einem kommunistischen Umsturz mitgemacht?

Der war ungefähr so weit entfernt wie Ihre Seligsprechung. Die kommunistische Partei hatte damals 1,3 Prozent, inzwischen hat sie 0,3 Prozent. Mir waren die Verlierer schon immer sympathisch.

Hat Kreisky Widerspruch ertragen?

Ich erinnere mich an ein Abendessen mit Kreisky, dem Liedermacher Sigi Maron und mir. Der Sigi Maron zog seinen Pullover hoch und sagte: „Herr Bundeskanzler, heute müssen Sie den ganzen Abend auf dieses Leiberl schauen.“ Da stand: „Atomkraft, nein danke.“ Kreisky hat gelacht und gesagt: „Und Sie müssen den ganzen Abend einen alten sozialdemokratischen Reaktionär anschauen. Wer hat es härter?“

Die Sozialdemokraten feiern jetzt ihren Übervater. Da ist viel Hagiografie dabei.

Das ist milde ausgedrückt. In Wahrheit ist es wie mit dem Rinderwahnsinn. Jetzt herrscht eben der Kreisky-Wahnsinn, und in einiger Zeit ist wieder alles vergessen. Mich macht das eher traurig. Je weniger von einem politischen Programm übrig bleibt, desto mehr Feierlichkeiten finden statt. Das sind in Wahrheit Grabesfeiern. In der Frauenfrage beispielsweise war Kreisky sehr fortschrittlich. Viele seiner politischen Taten werden heute wieder korrigiert.

Die heutigen Politiker sind gesichtslos?

Das wäre zu simpel. Politik ist heute reines Spezialistentum. Es geht nicht mehr um politische Haltung, sondern um deren Darstellung. Mit Kreisky konnte man über alles reden, er war Universalist. Ein sehr gebildeter Mann. Das ist das Beste, das man über eine bürgerliche Erscheinung wie ihn sagen kann. Heutige Politiker sind Detaillisten und in ihrem Erscheinungsbild vollkommen medienabhängig. Mit solchen Leuten kann ich mir keine Diskussion über literarische Neuerscheinungen vorstellen, sie kommen ja auch nicht dazu, ein Buch zu lesen. Sie sind gepeinigt von Terminen und von der Angst, irgendetwas falsch zu machen. Das macht viele immer blöder und ungebildeter.

Hat Kreisky mit Ihnen auch Privates besprochen?

Ja. Er hat keine Trennlinie gezogen zwischen dem öffentlichen Menschen, den man herzeigen kann, und dem Privatmann, der alles tunlichst kaschiert. Für heutige Werbeleute, die Politiker bis in die Frisur hinein formen, wäre er eine Katastrophe gewesen. Ich habe damals die Sozialdemokratie ständig kritisiert und er hat mich immer wieder einmal nächtens angerufen und gefragt: „Haben Sie Zeit?“ Und dann haben wir uns getroffen, haben uns in irgendein Lokal gesetzt und geredet und meistens zu viel getrunken.

Getrunken?

Natürlich. Er war weder dem guten Essen noch dem feinen Trinken noch der Weiblichkeit abhold. Er war eben kein Spezialist der Politik, sondern ein Mensch.

Zur Person

Peter Turrini (66) hatte seinen Durchbruch 1971 mit „Rozznjogd“ im Volkstheater.Derzeit läuft am Klagenfurter Stadttheater sein Stück „Silvester“, in Wien ist ein weiteres Drama zu sehen: „Campiello“ nach Goldoni im Theater in der Josefstadt. Mit seiner Partnerin Silke Hassler schrieb Turrini „Jedem das Seine“ über die NS-Zeit, es wurde in der Josefstadt gezeigt. Derzeit läuft die Verfilmung von Elisabeth Scharang (mit Johannes Krisch) unter dem Titel: „Vielleicht in einem anderen Leben“. Turrini hat sich kontinuierlich politisch engagiert: Bei Suhrkamp erschien eben „Wie verdächtig ist der Mensch?“. Darin gibt es auch sehr heitere Texte über Claus Peymann, der Turrini an die Burg holte, etwa für das skandalträchtige Stück „Tod und Teufel“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2011)

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