Kreisky – Androsch: Nur am Beginn stand Liebe

Kreisky ndash Androsch Beginn
Kreisky ndash Androsch Beginn(c) APA/HERBERT NEUBAUER (HERBERT NEUBAUER)
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1970 musste sich nicht nur die Volkspartei, sondern auch die SPÖ total umstellen. Randnotizen aus dem Alltag eines ganz und gar ungewöhnlichen Regierungschefs am Ballhausplatz.

Am 20. Jänner 1981 um neun Uhr waren im österreichischen Ministerrat starke Nerven gefragt. Der von Bruno Kreisky inzwischen verstoßene „Kronprinz“ Hannes Androsch musste an seinem letzten Arbeitstag eine besondere Demütigung überstehen. Als Vizekanzler hatte er die Laudatio zum 70. Geburtstag des Bundeskanzlers zu halten. Mit steinerner Miene hörte der „Alte“ zu, was der Ungeliebte da vom Blatt las. Es hörte sich wie ein verfrühter Nekrolog an:

„ . . . Die Berufung an die Spitze unserer Partei, der heutigen Regierungspartei, hat die Voraussetzung geschaffen, dass Du sie zu den größten Erfolgen ihrer Geschichte führen konntest. . . . In diesen mehr als 10 Jahren unter Deiner Regierungsführung ist Österreich moderner und seine Wirtschaft leistungsfähiger geworden. Der Wohlstand der Menschen dieses Landes hat Europaniveau erlangt, der Wohlfahrtsstaat ist geräumiger geworden. Mehr Chancengleichheit, ein höheres Maß an Gerechtigkeit und Liberalität haben aus unserem Land eine gute Heimat für alle seine Menschen werden lassen.

Mit all unseren Nachbarländern leben wir in gutem Einvernehmen. Weit darüber hinaus hast Du, dank Deiner unermüdlichen Bemühungen, auf internationaler Ebene Ausgleich zu suchen und herbeizuführen, Verständigung zu erreichen und zur Sicherung des Friedens beizutragen, Dir und damit unserem Land größtes internationales Ansehen erworben.

. . . Wir alle danken Dir, dass wir zu den Ergebnissen durch Dein Vertrauen unseren Beitrag leisten konnten. Meinen persönlichen Dank möchte ich anschließen, dass ich nahezu elf Jahre und damit ein schönes Stück dieses Weges gestaltend mitgehen habe können.“

Drei Stunden später, um 12 Uhr, wurde Hannes Androsch von Bundespräsident Kirchschläger auf Kreiskys Vorschlag als Vizekanzler und als Finanzminister entlassen. Mit seinem „Lieblingssohn“ Androsch hatte den alten Bruno Kreisky im doppelten Sinne das Glück verlassen.

„Ich werde bestenfalls Vizekanzler . . .“

Dabei hätte vor 1970 kaum jemand geglaubt, dass es Kreisky überhaupt an die Spitze schaffen könnte – er selbst übrigens auch nicht. Heinz Kienzl erinnert sich an Kreiskys Selbstzweifel, als er 1967 Parteiobmann der SPÖ wurde (Seite 5). Auch Heinz Fischer erinnert sich an den Wahlkampf 1970: . „In langen Monologen schilderte mir Kreisky seine Einschätzung der Rolle Österreichs in der internationalen Politik, aber auch der politischen Entwicklung in Österreich. Seine Hoffnung und zugleich Erwartung war damals, dass die ÖVP die knappe absolute Mehrheit, die sie seit 1966 hatte, verlieren, aber stärkste Partei bleiben werde. Für die SPÖ erhoffte er sich lediglich Stimmen- und Mandatsgewinne, sodass eine Koalition zwischen ÖVP und SPÖ das logische Resultat der Wahlen vom 1. März 1970 sein würde“, erzählt der heutige Bundespräsident.

„In dieser Regierung werde ich voraussichtlich das Amt des Vizekanzlers übernehmen“, sagte Kreisky damals zu Fischer, „und die Regierung wird bis 1974 im Amt sein. Dann haben wir die Chance, stärkste Partei zu werden. Aber dann werde ich schon im 64. Lebensjahr sein, und dann müsst ihr – die Jüngeren – die Verantwortung übernehmen, und es könnte ein neues Kapitel in der österreichischen Politik beginnen.“

Wie bei den Habsburgern

Und dennoch gelang 1970 der Überraschungssieg. Aber würde sich diese SPÖ-Regierung lang halten? Kreisky selbst betrachtete die Sache mit einem gewissen Augenzwinkern und bemühte die österreichische Geschichte: „Das erinnert mich an die Habsburger: Da hat man auch g'sagt, na, des wird net lang dauern – und schon nach 640 Jahren war's vorbei.“

Das erste Kreisky-Kabinett war vor allem aus Persönlichkeiten gebildet, die vorher noch nie Regierungsämter bekleidet hatten. Nur der neue Bundeskanzler und Justizminister Broda waren schon einmal Regierungsmitglied gewesen; Innenminister Otto Rösch hatte zumindest als Staatssekretär Erfahrung. Kreisky versammelte daher bald nach der Angelobung alle um sich, um ihnen Verhaltensregeln auch für das tägliche Leben zu vermitteln. Dazu gehörte das strenge Verbot, selbst Auto zu fahren oder Rechnungen in einem Restaurant gleich selbst aus der Geldbörse zu begleichen: Eine solche Rechnung lasse sich ein Minister schicken.

Auch auf die standesgemäße Garderobe legte Kreisky großen Wert. Während sich die Mehrzahl der neuen Minister rasch damit abfand, weigerte sich sein neuer Handelsminister, der Gewerkschafter Josef Staribacher, standhaft, Smoking oder gar Frack zu erwerben. Staribacher, der auch nie einen Tropfen Alkohol anrührte, erhielt daher eine Art Sondererlaubnis für einen Straßenanzug. Als kleine Konzession bequemte er sich zumindest, im dunkelblauen Anzug zu erscheinen, im „Zwetschgernen“, wie er ihn nannte.

Ja, die „Sparsamkeit“!

Für Flugreisen, verfügte der Kanzler, durften die Minister nicht mehr die erste Klasse benutzen. Eine neue Bescheidenheit sei der Regierung Zier, spotteten die Zeitungen. Also mussten die Regierungsmitglieder inmitten „normaler“ Passagiere reisen. Die empfangenden Protokollbeamten der Gaststaaten warteten oft vergeblich vor dem Ausstieg der ersten Klasse. „Nur“ Sektionschefs kamen dort heraus.

Ein andermal verfügte Kreisky, zur Regierungsklausur in Dürnstein müssten alle benzinsparend mit einem Sonderzug anreisen. Von der Heimfahrt war nicht die Rede. Also bewegte sich anderntags eine Kolonne von 18 Dienstlimousinen zum Tagungsort, um die hohen Herrschaften wieder nach Wien zu bringen. Dem (Umwelt-)Schaden folgte der Spott der Medien auf dem Fuße.

Das „Outfit“ – alles nach Maß

Auch die Mode für den eleganten Herren gab der „Alte“ jahrelang vor. Gute, solide Kleidung – darauf legte er stets großen Wert. Anzüge sonder Zahl ließ er bei Kniže fertigen (daher auch seine besondere Wut auf Androsch, als dieser ebenfalls bei Kniže kaufte, und zwar mehr als der „Alte“). Und die Schuhe? Die fertigte Nágy in der Dorotheergasse. Eines Tages erschien der Schuhmachermeister zur Audienz: „Herr Bundeskanzler, i' hab zu wenig Kundschaft, i' geh in Pension.“ Kreisky, zutiefst verstört, aber clever: „Geben S' mir a paar Visitkarten, ich überleg' mir was.“ Am nächsten Morgen musterte der Chef die Gehwerkzeuge seines Pressemannes „Jo“ Kunz: „Mit solchen Schlapfen geht man nicht im Bundeskanzleramt. Zufällig hab' ich da grad eine Visitkarten gefunden . . .“ Kunz wusste, was zu tun war. Und binnen kurzer Zeit bewegten sich sämtliche jungen Mitarbeiter Kreiskys in Maßschuhen mit klappernden Eiserln. Von – Nágy.

Aber auch der Kanzler selbst musste sich umstellen. Sein Kabinettschef Peter Jankowitsch erinnert sich an die vielen Versuche des legendären Chefs der Staatspolizei, Oswald Peterlunger, für den Kanzler alle möglichen Schutzmaßnahmen zu treffen und ihn auf Schritt und Tritt von Kriminalbeamten begleiten zu lassen. Diese Funktion hatten meist seine treuen, langgedienten Chauffeure wie der scharfzüngige Fahrer Blauensteiner oder der früher bei der Wiener Feuerwehr gediente Peter Rubay. Sie waren auch seine Vertrauten und konnten sich so manches kritische Wort leisten. Erst nach dem Opec-Terrorüberfall 1975 wurde ein polizeilicher Begleitschutz obligatorisch.

Nur keine falsche Bescheidenheit

Viele Journalisten, mehrere Buchautoren haben sich mit dem Phänomen dieses gescheiten Österreichers beschäftigt. „Und dennoch“, pflegte Kreisky zu sagen, „wenn's mir auch die meisten nicht glauben wollen, ist es so, dass ich keines dieser Bücher bisher wirklich gelesen habe. Für mich gibt es, vom Sujet her, interessantere Bücher auf meinem Tisch. Ich sage das nicht aus falscher Bescheidenheit – eine Eigenschaft, die mich keineswegs kennzeichnet. Die hat mir mein Vater ausgetrieben, übrigens nicht durch eine lehrhafte Formel von Äsop, sondern durch eine kabarettistische Anekdote: Es streiten zwei bekannte Komiker. Sagt der eine zum anderen: ,Mach' dich nicht so klein – du bist gar nicht so groß!“

Mit einem Tausender durch die Woche

Den SPÖ-Klubobmann Sepp Wille lud der Kanzler beim Spaziergang durch den Volksgarten zu einem schnellen Imbiss ein, ins Café Landtmann. „Was willst denn haben“, fragte Kreisky generös. „Ich schließ mich Dir an, Bruno.“ Worauf der Kanzler bestellte: „Zwei große Braune und zwei Semmeln.“

Er war nicht richtig geizig, aber die privaten Ausgaben hielten sich im Rahmen. Oft kam der „Alte“ mehr als eine Woche lang mit einem 1000-Schilling-Schein über die Runden. Das ging so: Bahnreise mit Journalisten. Im Speisewagen lädt Kreisky zu Kaffee und Wasser, verlangt die Rechnung, zückt seinen Tausender. Der Kellner stammelt verlegen, dass er nicht so viel Retourgeld habe. Darauf ein Wink zu seinem Kabinettschef Fredi Reiter: „Geh', zahl du das derweil.“– Reiter, beim Weggehen: „Den Schmäh kenn ich schon. Den macht er mir immer wieder.“

Ein Minister störte im Café Bruno K. beim Essen: „Du, die Journalisten draußen wollen wissen, wie viel i' verdien!“ – Kreisky, verschmitzt: „No, hast es ihnen g'sagt, oder hast es ihnen erklärt?“

[Hans Werner Scheidl ist Autor des Buches „Der wahre Kreisky“, erschienen bei Amalthea]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2011)

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