Mathematikunterricht

Was nicht angeboren ist, kann geweckt werden

Silke Rogl erforscht, wie die Lehrenden Begabungen wahrnehmen. Welche Eigenschaften sie mit begabten Schülerinnen und Schülern verbinden, hat Einfluss auf die Qualität ihres Unterrichts.

„Mein Sohn hat einfach keine Begabung für Zahlen, ich selbst war auch in Mathematik absolut schlecht, da kann man nichts ändern.“ So oder ähnlich sprechen Mütter oder Väter oft bei mathematischen Misserfolgen ihrer Kinder. Es klingt fast nach Schuldgefühlen, als ob man selbst dem Nachwuchs seine Probleme vererbt hätte. Solche Aussagen hat Silke Rogl noch aus ihrer Zeit als Lehrerin im Ohr, auch wenn sie damals nicht Mathematik, sondern andere Fächer unterrichtete. Heute beschäftigt sie sich mit sogenannten Begabungsüberzeugungen am Österreichischen Zentrum für Begabtenförderung und Begabungsforschung der Pädagogischen Hochschule Salzburg.

Nicht nur bei Eltern, sondern auch bei Lehrpersonen trifft man vereinzelt auf die Meinung, mathematische Begabung sei angeboren. Ein großer Teil der Mathematiklehrer dürfte dies jedoch anders sehen, wie Rogls Studien ergeben. „Die Faszination für mathematisches Problemlösen und Knobeln springt auf die Schüler über, und je mehr sie sich dafür interessieren, umso intensiver beschäftigen sie sich damit, fragen nach, lernen, trainieren und üben.“


Letztes Jahr veröffentlichte Rogl ein Buch zu Begabungsüberzeugungen, für das sie auf umfassender theoretischer Basis und nach einer Pilotstudie eine Erhebung unter knapp 200 Mathematik-Lehrpersonen der Sekundarstufe durchführte. Die Lehrerinnen und Lehrer, die daran teilnahmen, hatten dafür einen Selbstauskunftsbogen auszufüllen.

Freude am Tüfteln, an Zahlen

Mittels eines Schiebereglers (Stufen von eins bis 100) trugen sie ein, wie stark ihrer Meinung nach mathematisch Begabten fünf verschiedene Faktoren zuzuordnen sind: fachliche Fähigkeiten (hohes Modellierungs-, Abstraktions- und Problemlösungsvermögen), Passion und Leidenschaft (Faszination für Zahlen, Lust an komplexen Aufgaben, Freude am Tüfteln), Leistung und Ergebnis (Messbarkeit, Ergebnisse, Produkte mathematischer Begabung), Determiniertheit (angeborene Begabung) sowie internale Komponenten (Persönlichkeitseigenschaften).

Die Überzeugung überdenken

Neu erschienen:

Die Antworten von 172 Befragten reichen zwar nicht aus, um von einer repräsentativen Studie zu sprechen. Klar nachweisbar ist jedoch, dass Begabungsüberzeugungen von Lehrpersonen mit Daten belegbar sind und dass sie den Unterricht beeinflussen. „Ich konnte die Hypothese und die Vermutung vieler Lehrerinnen und Lehrer bestätigen, dass bestimmte Begabungsüberzeugungen auch qualitativ hochwertigeren, aktivierenderen Unterricht bewirken“, sagt Rogl. Dies gilt laut den Ergebnissen speziell für die Faktoren „Fachliche Fähigkeiten“ sowie „Leidenschaft und Passion“. Sind Mathematiklehrer hingegen von einer determinierten – also einer angeborenen, vorbestimmten oder genetisch bedingten – Begabung überzeugt, werden im Unterricht weniger kognitiv herausfordernde Aufgabenstellungen angeboten.

Rogl leitet aus ihrer Studie auch Empfehlungen für die professionelle Lehrerbildung ab. Dazu gehöre, sich als Lehramt-Studierende mit der persönlichen Überzeugung reflektiert auseinanderzusetzen, aber auch jene des eigenen Lehrerbildners zu erleben. „Wir wissen aus der Überzeugungsforschung, dass modellhaftes Lernen am meisten bringt, um eigene Überzeugungen zu ändern.“
Das Buch zur Studie erschien 2022 im Waxmann-Verlag: „Begabungsüberzeugungen und ihr Einfluss auf kognitiv herausfordernden Unterricht“.Silke Rogl
„Begabungsüberzeugungen“
Waxmann Verlag
190 Seiten
29,90 €

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