Psychologie

Die manchmal fatale Lust, alles selbst zu recherchieren

Wenn Kollektive – vermeintlich – falsche Entscheidungen treffen, hat das nicht unbedingt mit fehlender Intelligenz zu tun. Womit aber dann? Dieser Frage stellt sich ein neues Forschungsteam am Complexity Science Hub: auch um Klimawandel-Leugnung besser begegnen zu können.

Am Morgen sei sie Teil einer Familie, tagsüber Teil eines Forschungsteams. „Wir alle gehören unterschiedlichen Gruppen an und wechseln automatisch zwischen Kollektiven, mit denen wir Werte und Ziele teilen“, erklärt die Psychologin Mirta Galesic. „Dabei verändern wir, wie und mit wem wir Entscheidungen treffen.“ Die Eltern diskutieren das Urlaubsbudget, bei der Wahl der Destination werden die Kinder eingebunden. Im Job werden für manche Entscheidungen alle befragt, dann wieder bestimmt ein Einzelner, was zu tun ist.

Der Mensch hat also die Fähigkeit, sich in anpassungsfähigen Kollektiven zu organisieren. Dies gilt vielen als eines der Schlüsselelemente für den Erfolg unserer Spezies. Seit etwa 15 Jahren haben neue Technologien großen Einfluss darauf, wie soziale Bindungen entstehen und aufrecht gehalten werden. Die rasch zunehmende Größe und Komplexität unserer Kollektive birgt Chancen, vergrößert aber auch die Bedrohungen für unsere Gesellschaft. Klimawandel-Leugnung ist eine davon. Nicht immer treffen Kollektive automatisch die von außen betrachtet besten Entscheidungen. Galesic: „Es ist leicht, Kollektive, denen man nicht angehört, als dumm oder unintelligent abzutun.“ Das werde jedoch der Komplexität von Entscheidungsfindungen nicht gerecht – und sei auch nicht zielführend, um gesellschaftliche Probleme in den Griff zu bekommen. „Menschen versuchen immer, gleichzeitig mehrere Aufgaben zu lösen. Sie haben unterschiedliche Erfahrungen, von denen sie sich dabei leiten lassen.“

Desaster vermeiden

Warum aber fällen manche im Grunde intelligente Kollektive falsche Entscheidungen und wie können wir dadurch ausgelöste Herausforderungen – Impfverweigerung, Verschwörungstheorien, Extremismus – vermeiden? Diesen Fragen stellt sich Galesic gemeinsam mit ihrem Mann, dem Psychologen Henrik Olsson. Sie leiten die neue Forschungsgruppe „Collective Adaptation“ am Complexity Science Hub Vienna. Den konzeptionellen Rahmen dazu präsentierten sie mit einer internationalen Gruppe Forschender kürzlich im Journal of The Royal Society Interface. Ihr Ziel ist zum einen, bestehendes Wissen aus allen möglichen Disziplinen zu vereinen. Zum anderen wollen Galesic und Olsson, die auch dem gemeinnützigen Santa Fe Institute (USA) angehören, bereits existierende Modelle für Vorhersagen von kollektivem Verhalten nutzen. Vielversprechend seien etwa psychologische Modelle zum Verstärkungslernen sowie physikalische Partikel- und biologische Evolutionsmodelle. Parallel dazu sammeln sie Daten zu kollektiver Anpassung. „Wir schauen uns Netzwerke in den sozialen Medien an, führen Befragungen durch und nutzen Gruppenexperimente, in denen die Teilnehmenden verschiedene Aufgaben gleichzeitig lösen müssen“, so Galesic.

Aus Perspektive der kollektiven Anpassung richten Menschen die Art, wie sie Entscheidungen mit anderen treffen, an der jeweiligen Problemlage aus. Genauso, wie sie entscheiden, wen sie für welche Aufgabe konsultieren. Während sich die Anhänger von Kulten nun zu wenig nach alternativen Informationsquellen umschauen, tun dies Klimawandelleugner zu viel. Bei Letzteren könnte das Problem sein, dass sie noch nicht genau wissen, auf wen sie hören oder welches relevante Netzwerk sie dazu befragen sollen.

Wann man Autoritäten überhören soll

Generell betreiben Menschen gern ihre eigenen Forschungen und Erkundungen – und vielfach sei es gut, diesem Verlangen nachzugeben, betont Galesic. Sie verweist auf individuelle Beziehungs- und Lifestyle-Entscheidungen, bei denen es gesund sei, nicht auf Autoritäten wie Eltern, Kirche oder Staat zu hören. Es sei jedoch fatal, dieses Modell auf den höchst komplexen Klimawandel zu übertragen. „Hier sollten die Menschen verstehen, dass sie auf einen anderen Weg switchen müssen, um soziale Informationen zu integrieren.“ Doch dieser Wechsel falle vielen schwer, weil sie mit dem anderen Modell in anderen Lebensbereichen gut fahren. Eine Möglichkeit, dem zu begegnen, sei, den Menschen alternative Informationsquellen – abseits von Autoritäten – innerhalb ihrer Netzwerke anzubieten, die jenen ähnlich sind, denen sie sonst im Alltag vertrauen. „Wir müssen die Menschen dort treffen, wo sie sind, und ihnen Möglichkeiten bieten, ihren Horizont innerhalb ihres sozialen Netzwerkes zu erweitern“, erklärt Olsson.

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