Arbeitszeit

Neue Vollzeit, „gesund“ oder „skurril“?

Seit 1975 gilt in Österreich per Gesetz die 40-Stunden-Woche. In diversen Kollektivverträgen liegt die Normalarbeitszeit schon darunter. Die Debatte über eine Verkürzung brodelt.

Die Debatte über kürzere Arbeitszeiten hält an. Während für die linke Reichshälfte die Zeit für eine generelle Arbeitszeitverkürzung gekommen ist, wird dies von Wirtschaftsvertretern klar abgelehnt. Am Freitag präsentierte die Arbeiterkammer (AK) einen Vorstoß für eine „Vollzeit für das 21. Jahrhundert“. Der Wunsch nach kürzeren Arbeitszeiten ziehe sich durch alle Branchen, sagte AK-Präsidentin Renate Anderl.

„Es wird immer intensiver gearbeitet, der Arbeitsdruck steigt“, sagte Anderl am Donnerstag. Eine gesetzliche Arbeitszeitverkürzung sei der nächste logische Schritt. In Österreich werde länger Vollzeit gearbeitet als im EU-Durchschnitt, und es würden viele unbezahlte Überstunden geleistet. Jede dritte beschäftigte Person könne sich nicht vorstellen, ihren aktuellen Job bis zum Pensionsantritt ausüben zu können. Sie fordert eine schrittweise Reduzierung der gesetzlichen Normalarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich. Arbeitsminister Martin Kocher solle ein neues Arbeitszeitgesetz auf den Weg bringen und dabei alle Sozialpartner einbinden. Das Ziel soll eine „neue, gesunde Vollzeitarbeit“ sein, sagte Anderl. Die liege bei 30 bis 35 Wochenstunden.

Dazu führte die AK Ende des Vorjahres eine Online-Umfrage zum Thema Arbeitszeit durch. 4700 Personen schlossen die Umfrage ab, die von Forba ausgewertet wurde. Sybille Pirklbauer, Leiterin der Abteilung Sozialpolitik, weist darauf hin, dass Frauen überrepräsentiert seien und Arbeiter und Teilzeitkräfte unterrepräsentiert. Die Befragung sei wie alle Online-Umfragen nicht repräsentativ, sie gebe aber einen guten Einblick in die aktuelle Stimmungslage. Und die sei wie folgt: 82 Prozent gaben an, dass sie gern weniger Stunden arbeiten würden. Die Antwort sei unabhängig von der Branche in etwa gleich.

Mehr Me-Time und Familie

Gefragt, wie viele Stunden pro Woche sie gern arbeiten würden, sagten rund 60 Prozent, dass das ideale Ausmaß für sie zwischen 25 und 35 Wochenstunden liege. Rund ein Viertel gab an, dass 36 bis 40 Stunden pro Woche ideal seien. Laut Einschätzung der AK würde die „neue Vollzeit“ für eine gleichmäßigere Verteilung von Arbeitszeit sorgen. Vollzeitkräfte würden weniger, Teilzeitkräfte mehr arbeiten. Gefragt, was sie in ihrer zusätzlichen Freizeit machen würden, wurde als Priorität „Zeit für mich und mehr Erholung“ und „mehr Zeit für meine Familie“ genannt. Gefolgt von Hobbys und Sport sowie Aus- und Weiterbildung.

Anderl verweist darauf, dass die Produktivität enorm gestiegen, die Vollzeit-Norm aber seit 50 Jahren beinahe unverändert sei. 1975 wurde in Österreich per Gesetz die 40-Stunden-Woche als Normalarbeitszeit eingeführt. Allerdings haben sich die Sozialpartner in diversen Branchen seither auf kürzere Arbeitszeiten geeinigt und das in den Kollektivverträgen verankert. In der Sozialwirtschaft gilt mittlerweile sogar eine 37-Stunden-Woche. In anderen Bereichen, darunter Gastgewerbe, Reinigung und private Kinderbetreuungseinrichtungen, gelte die 40-Stunden-Woche als das Normale. Im Handel sind es 38,5 Wochenstunden und im Bau- und Bauhilfsgewerbe 39 Stunden laut Kollektivvertrag.

Die Antwort auf die zu erwartende Kritik nahm Anderl am Freitag vorweg – bei manchen würden schon „Panikattacken“ ausbrechen, wenn man das Wort Arbeitszeitverkürzung nur ausspreche. Auch in den 1970er-Jahren sei vor einem „Niedergang der Wirtschaft“ gewarnt worden. Die Wirtschaft sei aber trotz Arbeitszeitverkürzung „noch da“.

„Endgegner: Die Arbeit“

Tatsächlich brachte Anderl mit ihrer Forderung den ÖVP-Wirtschaftsflügel zum Brodeln. „Anscheinend hat die Arbeiterkammer ihren letzten Endgegner gefunden: die Arbeit als solche“, wetterte Wirtschaftsbund-Generalsekretär Kurt Egger. Schon jetzt würden 215.000 Arbeitskräfte fehlen, da sei es „skurril“, eine generelle Arbeitszeitverkürzung zu fordern. Das bedeute, dass die gleiche Menge Arbeit in weniger Zeit geschafft werden müsse. Ein Polizist oder eine Kindergartenpädagogin könnten ihre Leistung nicht in weniger Arbeitszeit pressen. Dann brauche man österreichweit über 200.000 zusätzliche Arbeitskräfte. (hie)

(hie)

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