Russland: Die Schwäche des starken Mannes Putin

Russland Schwaeche starken Mannes
Russland Schwaeche starken Mannes(c) REUTERS (OLEG POPOV)
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Wladimir Putin ist seit einem Jahrzehnt an der Macht - und hat das Land zur Erstarrung gebracht. 2011 und 2012 stehen Wahlen an, doch mit einer Veränderung ist nicht zu rechnen.

Wenn zu den Monopolisten der Macht in Russland noch ein Feedback vom Volk durchdringt, müssten die Alarmglocken laut schrillen. 85 Prozent der Bürger haben nämlich keine Vorstellung, wohin sich das Land bewegt und ob es eine Zukunft hat. Diese Stimmung trat bei der traditionellen Jahresendumfrage des renommierten Umfrageinstituts „Lewada-Center“ zutage.

Das Ergebnis ist umso bedeutsamer, als es am Ende des Jahrzehnts steht, das mit der restaurativen Ära des Ex-Präsidenten und jetzigen Premiers Wladimir Putin zusammenfällt. Nicht die propagierte Stabilisierung wird gefühlt, stattdessen „ein hoher Grad an Unruhe, kollektiver Anspannung und sich aufstauender Aggression“, erklärt „Lewada“-Chef Lew Gudkow.

Gerade 2010 war geprägt von einschneidenden Ereignissen, die selbst in den zensurierten Medien nicht mehr gefiltert werden konnten. Etwa das fatale Versagen und die Gleichgültigkeit vieler Verantwortlicher bei der Brandkatastrophe im Sommer. Oder die Korruption rund um den geschassten Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow. Zuletzt die Gewaltaufmärsche rechtsradikaler Fanatiker und die Zusammenstöße mit kaukasischen Jugendlichen. Zuvor der Zwölffachmord an einer Farmerfamilie und ihren Bekannten im südrussischen Dorf Kuschewskaja, der zutage brachte, dass eine mafiöse Bande im Einverständnis mit hohen Beamten seit Jahren eine Schreckensherrschaft ausübte. 20 Prozent der von Lewada Befragten berichten von ähnlichen Banden, soll heißen von einer Verflechtung von korrupten Beamten, Polizisten, Unternehmern und „wahren“ Verbrechern.

Kult der Stärke und des Geldes

Statt den „Rechtsnihilismus“, von dem Kremlchef Dmitrij Medwedjew sprach, durch eine Zivilgesellschaft zu beseitigen, herrscht ein „Kult der Stärke und des Geldes“, meint Andrej Rjabow, Politologe der Gorbatschow-Stiftung.

Putin selbst hat den Kult gepflegt. Ob mit Sprüchen in Sachen Kaukasus, der ein Pulverfass bleibt, oder mit den Petrodollars, die bis zur Finanzkrise ins Land strömten und auf deren Basis ein Mix aus Pluto- und Kleptokratie von korrupten Beamten entstand, die Putin nicht einmal dann gehen lassen würden, wenn er das selbst wollte.

Bis 2004 hat Putin Strukturreformen umgesetzt, seither nicht mehr. Auch wurde die politische Partizipation auf ein Minimum beschränkt. Gerade mit dieser Totalabhängigkeit vom Staat ist die eingangs erwähnte Ratlosigkeit über die Zukunft verknüpft, so Gudkow. Während das System, das keine politische Alternative vorsieht, in den fetten Jahren Widerspruch mit Geldgeschenken habe stillhalten können, würden nun oppositionelle Regungen immer repressiver unterdrückt. Zu Neujahr wurden Demonstranten verhaftet, und Putin stellte klar, dass die Opposition „keinen Zutritt zum Futtertrog“, also zur Macht, erhalten werde. Die russische Gesellschaft kennt keine alternativen Identifikationsfiguren mehr. Zum zehnten Mal in Folge nennen die Befragten 2010 Putin als „Mann des Jahres“, knapp dahinter Medwedjew, weit abgeschlagen unbedeutende Figuren der Nomenklatur. Dies vor dem Hintergrund, dass laut Lewada-Center drei Viertel des Volkes die politische Führung skeptisch sehen, sich nur 33 Prozent vom Gesetz geschützt fühlen und ein Drittel der Großstadtbewohner, unter denen die Stimmung schlechter ist als auf dem Land, Einkommenseinbußen angeben. Dass Putins Rating dennoch hoch bleibt, liegt an den Kreml-nahen Medien, die bei drehendem Wind eine Person binnen Tagen vernichten können, wie das Beispiel des Moskauer Bürgermeisters Luschkow zeigt.

Gewiss, trotz magerer politischer Bilanz: Putin hat das Land durch einen Stabilisationsfonds vor einer Totalkatastrophe in der Krise gerettet. Auch die Zahl der Armen wurde drastisch reduziert. Der Spielraum für soziale Ausschüttungen wird indes enger. Nach den Duma-Wahlen Ende 2011 führt kein Weg an Steuererhöhungen vorbei. Derzeit wird in Russland denn auch Putins wirtschaftliche Bilanz seziert. Die zu Beginn des Jahrzehnts ausgerufene Verdoppelung des BIPs hat nicht stattgefunden, das BIP wuchs nur um 59 Prozent, wie der Finanzdienstleister FBK vorrechnet.

Krise ist keine Ausrede

Sich auf die Krise auszureden gelte nicht, sagt FBK-Chefanalyst Igor Nikolajew, denn selbst GUS-Staaten in der Nachbarschaft hätten ihr BIP mehr als verdoppelt. Russland habe sich nur aufs Öl verlassen, sagen Ökonomen: Das schlechte Investitionsklima, die gescheiterte Verwaltungsreform und die Korruption würden bremsen.

Gudkow geht weiter: Das politische System „stellt eine immer ernsthaftere Bedrohung für die Gesellschaft und ihre Zukunft dar“. 51 Prozent würden zunehmende Spannungen in der Gesellschaft wahrnehmen, in Moskau 80 Prozent. „Zwischen Stagnation oder Revolution“ betitelt Politologe Rjabow seine neue Analyse: Auf einem ähnlichen Scheideweg habe sich Russland schon öfters befunden. Mit jeweils unterschiedlichem Ausgang.

„Amputination“ ist nötig

Eine „Amputination“ sei nötig, sagt der Schriftsteller Boris Akunin: Mit Putin könnten die wahren Probleme nicht gelöst werden. Es brauche vielmehr eine starke Hand, geht indes aus einer weitern Umfrage des Lewada-Centers hervor. „Daumenschrauben anziehen und weniger Freiheiten“ verlangen 63 Prozent (Ende 2009: noch 37 Prozent). Der problematische Zustand, in den Putins System das Land manövriert hat, verlangt also nach einer Lösung, die wieder Putin heißt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.01.2011)

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