Medwedjews Verdienste: Viel Lärm um wenig

Mit dem Versprechen der Erneuerung ist der Präsident vor drei Jahren angetreten. An Russlands Führung hat sich außer atmosphärischen Nuancen wenig geändert.

Auf einer Diskussionsveranstaltung in Moskau ließ sich kürzlich folgende aufschlussreiche Situation beobachten: Während ein mit hochrangigen Duma-Politikern besetztes Panel, das Visionen für Russlands Zukunft beriet, kaum Zuhörer in den Saal lockte, waren tags darauf die Reihen dicht gefüllt. Die Programmpunkte diesmal: Wirtschaft, Technologie, Innovation.

Diese Wörter haben einen verheißungsvollen Klang im heutigen Russland. Politik kann die Menschen hingegen nicht mehr hinter dem Ofen hervorlocken. Es ist bezeichnend, dass sich russische Bürger von einem EU-Beitritt (so unwahrscheinlich dieser auch ist) vor allem ökonomischen Aufschwung erwarten; Meinungsfreiheit und demokratische Werte sind dem Großteil der Russen – zumindest derzeit – ziemlich egal. Das wirtschaftliche Vorankommen ist vielleicht die einzige verbliebene Forderung, die die Mehrheit an das Führungs-Tandem stellt.

Diversifizierung der Wirtschaft, Entwicklung der Hochtechnologie: Genau diese Punkte waren es, die sich Dmitrij Medwedjew in Großbuchstaben auf seine Agenda geschrieben hatte, als er 2008 sein Amt als Präsident antrat. Gelöst sind diese Probleme noch lange nicht: Obwohl der Staat Technologieentwicklung mit immensen Summen fördert (2007 etwa waren es mehr als 40 Mrd. Dollar), ist es um die Konkurrenzfähigkeit russischer Unternehmen vor allem international schlecht bestellt. Hightech-Produkte werden nach wie vor kaum erzeugt; mit Innovationsmodellen wie dem Technologiepark „Skolkowo“, die frappierend sozialistischen Wissensenklaven wie dem sibirischen Expertenstädtchen Akademgorodok gleichen, wird es Russland wohl kaum in den Olymp der Wissensökonomie schaffen.

Auch die Technologie-Obsession des Präsidenten zeugt davon, dass der sich so modern inszenierende Medwedjew der eigenen Gesellschaft hinterherhinkt. Sein zur Schau gestelltes Twittern und Facebooken wirkt ob der Tatsache, dass diese Kommunikationsmittel für viele urbane Russen zum selbstverständlichen Alltag gehören, wenig originell.

Auch in anderen Bereichen, in denen der Westen und russische Liberale Hoffnungen auf Medwedjew gesetzt haben, hat der Präsident bisher enttäuscht. Das entschiedene Vorgehen gegen Korruption, von Medwedjew vielerorts angekündigt, ist bis jetzt noch nicht sichtbar. Wie auch? Das Dagegen-Anreden eines Mannes kann die tief verwurzelte Kultur der Korruption nicht beseitigen. Schließlich sind es gerade die faktische Einparteienherrschaft der Kreml-Partei und die Hermetik der Macht, die Vetternwirtschaft ohne Kontrollmöglichkeiten fördern. Wer mit der Korruption aufräumen will, muss zuerst den Wettbewerb der Ideen zulassen. Doch die Lockerung der Versammlungsfreiheit, erleichterte Teilnahme anderer Parteien an den Wahlen – all das passiert nur in zaghaften Schritten. Den Eliten mag dabei durchaus die Gefahr der Verkrustung der Strukturen bewusst sein. Doch sie fürchten die möglichen Konsequenzen einer wirklichen Problemlösung. Da bleibt man lieber auf der sicheren Seite des Machterhalts.

Allein was Russlands Beziehungen zum Westen angeht, könnte man von einem Stimmungswandel und einer pragmatischen Annäherung durch Medwedjew sprechen. Wenigstens von einer atmosphärischen. Medwedjew ist auf dem internationalen Parkett einfach versierter. Während Putin das russische Publikum mit „Blueberry Hill“-Klavierspiel erweichen kann, wird er für viele im Westen wohl immer der steife Ex-Geheimdienstoffizier bleiben.

So mag es auch für Europa und die USA atmosphärisch relevant sein, ob Putin oder Medwedjew nächster russischer Präsident wird. Für die eigenen Bürger hat das nur untergeordnete Bedeutung: Man weiß, dass allein die Neuordnung des Führungs-Tandems wenig ändern wird. Nicht umsonst kursieren in Russland Witze über „Dima“ und „Wolodja“, in denen die beiden vergessen haben, wer denn nun das Staatsoberhaupt ist. „Dima, bist du heute Präsident?“, fragt Putin Medwedjew. „Nein, du.“ „Dann geh gefälligst Kaffee kochen.“

Kein Wunder, dass ganz Russland beim Thema Politik lieber zu Hause hinterm Ofen sitzen bleibt. Bericht Seite 1

E-Mails an: jutta.sommerbauer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.01.2011)

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