Wie in jeder Leseszene gibt es auch auf #BookTok Codes und Rituale.
Bücherwelt

#BookTok: Wie Lesen auf TikTok zum Trend wurde

Der Hashtag #BookTok ist nicht nur zum Player in Literaturbetrieb und Handel geworden, durch Kurzvideos auf der App TikTok finden viele junge Menschen zum Buch: Lesen ist wieder Lifestyle.

Mittlerweile gibt es einige Argumente, die auch Lesende über 25 zu #BookTok locken, jene nicht mehr so kleine Hashtag-Nische innerhalb der Social-Media-Welt von TikTok. Da wird dann eben nicht getanzt oder sonstiger kurzweiliger Unsinn getrieben, sondern – der Name verrät es – gelesen: Die Autorin und „Queen of #BookTok“ Colleen Hover gibt dem Feuilleton wichtiger Zeitungen Interviews, im Buchhandel werden mittlerweile ganze Abteilungen sogenannten #BookTok-Büchern gewidmet, und neue Genres wie „Dark Academia“ oder „Sad Girl Books“, die sich durch eine übergeordnete Ästhetik definieren, sind entstanden.

Wer dem Zeitgeist nachgibt und auf #BookTok nach Lektüreempfehlungen stöbert, dem vergeht aber eventuell die Laune meist schneller wieder, als der Algorithmus sich auf das Leseinteresse einstellen kann. Denn was einem auf #BookTok begegnet, hat allenfalls mit Unterhaltung zu tun und weniger mit Literatur. Neben Bücherregalen (nach welchem System nur sortieren?), witzigen Lesegadgets wie Vasen in Buchform und Unboxing-Videos geht es hier vor allem um Bücher. Nur welche? Gelesen wird hier vor allem Genre-Literatur, wie New Adult mit jungen Erwachsenen als Protagonisten, Romance, Fantasy, manchmal Science-Fiction.

TikToks Leseszenerie

Der Hashtag #BookTok tauchte auf der Plattform erstmals Ende 2020 auf. Etwas mehr Lesezeit während der Pandemie sorgte dafür, dass dieser mittlerweile über 23 Milliarden Aufrufe hat. Längst ist auch TikTok selbst auf den Trend aufgesprungen und hat einen „TikTok Book Club“ ins Leben gerufen, in dem monatlich ein von der Plattform vorgeschlagenes Buch von der Community besprochen wird. Die Lepiziger Buchmesse bietet demnächst #BookTok-Workshops für Autorinnen und Autoren an, auf der Frankfurter Messe im Herbst war die App sogar mit einem Stand vertreten. Hier zeigt sich, was die Lesecommunity auf #BookTok anderen Lesezenen in sozialen Medien, etwa Bookstagram oder BookTube, voraushat: Nur BookTok hat es geschafft, zum Player im Buchhandel und der Literaturbranche zu werden.

 Auch Handelsketten wie Thalia setzen auf #BookTok als Zugpferd, im Onlineshop wie auch im Geschäft.
Auch Handelsketten wie Thalia setzen auf #BookTok als Zugpferd, im Onlineshop wie auch im Geschäft.beigestellt

So setzt beispielsweise die Handelskette Thalia nicht nur im Onlineshop und in den Filialen auf #BookTok als Zugpferd, sondern ist auch selbst auf TikTok aktiv. „Wir greifen dort natürlich Trends auf, die auch bei uns nachgefragt werden, stellen aber auch anderes vor, zum Beispiel österreichische Autorinnen und Autoren“, erklärt die zuständige Marketingleiterin Kerstin König. Jung-Autorinnen nutzen heute selbstverständlich die Möglichkeit, mit ihrer potenziellen Leserschaft zu interagieren. „Gerade als ,New Adult‘-Autor oder -Autorin muss man auf jeden Fall in Social Media sein, um überhaupt Sichtbarkeit für seine Bücher zu bekommen“, erzählt die 25-jährige Gabriella Santos de Lima. Die deutsche Autorin hat bereits mehrere Bücher im New-Adult-Bereich veröffentlicht, es auf die „Spiegel“-Bestsellerliste geschafft und über 21.000 Follower auf TikTok. Den Erfolg auf der Plattform spüre sie beim Verkauf ihrer Bücher.

Auch die 26-jährige Grazerin Bianca Movileanu versucht über TikTok im Literaturbetrieb Fuß zu fassen: „Viele Follower sind heute wichtig, um einen Verlag zu finden. Gerade für Jungautorinnen und -autoren sind Social Media unumgänglich.“ Vielen Verlagen kommt das entgegen. „Oft gibt es begrenztes Marketingbudget für einige wenige Titel, so kann man trotzdem sichtbar sein“, weiß Santos de Lima. Und auch der 21-jährige Jugendbuchautor Colin Hadler erklärt: „Die Verlage wissen, diese Bücher werden sich verkaufen.“

Lesen als Lifestyle

Wie in jeder Leseszene gibt es auch auf #BookTok Codes und Rituale. Gelesen wird hier vor allem von jungen Frauen, diebuch Cover glitzern in Pastell­tönen, Bücher mit Farbschnitt werden besonders gern hergezeigt: Ja, die Jugend liest, aber anders. Gefragt sind Romane mit Handlungselementen wie „enemies to lovers“ oder „spice“, also Erotikszenen, oft aus explizit feministischer Sicht geschrieben. Gelesen wird hier fernab des bildungsbürgerlichen Repertoires, die „Vibes“ und Ästhetik von #Booktok, um im Jargon zu bleiben, haben wenig mit Literatur, viel aber mit sozialen Medien zu tun. Oder anders gesagt: Auf TikTok ist Lesen endlich wieder Lifestyle.

Buchempfehlungen und Lektürerfahrungen in den Kategorien „Bücher, die mich zerstört haben“ oder „Bücher, die mich zum Heulen gebracht haben“ zeugen von einer Suche nach Immersion und Eskapismus. Hier wird intuitiv gelesen, Lektüre gesucht, die die Gefühlswelt mehr als den Intellekt fordert. Viele finden, angeregt von #BookTok, überhaupt erst zum Lesen. Das hat auch den Handel überrascht, ursprünglich hat man soziale Medien als Konkurrenz im Kampf um die Zeit der Lesenden wahrgenommen. Der Faktor Niederschwelligkeit spiele da eine große Rolle, wie Colin Hadler meint: „Mit #BookTok-Büchern kann man gut anfangen, später dann mehr entdecken.“ Denn es gibt auch auf #BookTok jene, die abseits der Hypes und des Algorithmus Lektüre empfehlen, so etwa die 23-jährige BookTokerin Kristina Stojanović aus Wien: „Auf #BookTok werden immer dieselben Bücher gezeigt, schade, denn es gibt noch so viel mehr außerhalb dieses Universums.“ Sie zeigt auf ihrem Account auch serbische und deutschsprachige Belletristik, Sachbücher und Klassiker.


Ein Ausflug in die ganz eigene und mittlerweile so große und vielschichtige #BookTok-Welt erinnert daran, dass Lesen eben zuallererst eine aktive Handlung und auch eine soziale Praxis ist; auch das Lesen basierend auf Feuilleton-Rezensionen ist nur eine von vielen Spiel­arten. Oder wie es Autorin Santos de Lima ausdrückt: „Wenn ein Mann einen Roman über einen 18-Jährigen schreibt, der in Berlin in einer WG lebt, ist das Literatur. Wenn ich das mache, gilt es als Trash.“ Kurz gesagt: Auf #BookTok passiert sehr viel, sehr schnell, und nur wenig davon ist Literatur im landläufigen Sinn. Aber das Lesen – und was daran begeistert – wird hier so spannend und modern aufbereitet wie schon lang nicht mehr. 

("Die Presse Schaufenster" vom 21.04.2023)

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