Geschäftsbericht

ÖBB: Mit neuen Schulden zu höheren Gewinnen

„Einen Jahrhundertwert“ an Fahrgästen erwartet ÖBB-Vorstandschef Andreas Matthä für heuer.
„Einen Jahrhundertwert“ an Fahrgästen erwartet ÖBB-Vorstandschef Andreas Matthä für heuer.Akos Burg
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Das vorige Jahr brachte der Staatsbahn die Fahrgäste zurück, aber auch Verwerfungen im Güterverkehr als Folge explodierender Energiepreise. Der Vorsteuergewinn ist mit 193 Millionen Euro so hoch wie zuletzt vor sieben Jahren.

Wien. Wer in letzter Zeit das Gefühl hatte, dass ihm die Zugtickets vor der Nase weggeschnappt wurden, der lag damit richtig. „Die große Reiselust“ nennt man es im Geschäftsbericht der ÖBB: „Noch nie zuvor sind zwischen Juni und August eines Jahres so viele Menschen mit den Fernverkehrszügen der ÖBB unterwegs gewesen wie 2022.“ Nach Ende der Corona-Einschränkungen schwang sich der Zugverkehr zu einem Boom auf, mit dem Ergebnis, dass die Bahnmanager heuer einen Passagierrekord erwarten. Mehr als 480 Millionen Fahrgäste und damit „einen Jahrhundertwert“, sagte Vorstandschef Andreas Matthä – vor 100 Jahren wurde die Staatsbahn gegründet. Auch wenn man im Nahverkehr die Auswirkungen der veränderten Arbeitswelt spüre, Stichwort Home-Office.

Weniger erfreulich läuft es im Güterverkehr. Ein „schwieriges Jahr“ sei 2022 gewesen, was der Manager wesentlich auf die gestiegenen Energiepreise zurückführt, aber auch auf die Unterbrechung von Lieferketten durch den Krieg in der Ukraine. Verglichen mit der Straße habe der Schienengüterverkehr wegen hoher Kosten an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt. Von Strompreisschwankungen bis zu 900Prozent sprach Finanzvorstand Arnold Schiefer bei der Bilanzpräsentation am Freitag.

Vor Steuern kam der ÖBB-Konzern mit seinen 42.600 Mitarbeitern 2022 auf einen Gewinn von 193 Millionen Euro. Das waren um 14 Prozent mehr als im Jahr davor und so viel wie zuletzt 2015. Während der Vorsteuergewinn im Personenverkehr kräftig zulegte (von 89 auf 158 Mio. Euro), gab es im Güterverkehr einen deutlichen Rückgang (von 122 auf sieben Mio. Euro). Die ÖBB-Infrastruktur verbuchte 16 Mio. Euro Verlust und rutschte damit erstmals in den roten Bereich (nach 10,9 Mio. Euro Vorsteuergewinn im Jahr 2021). Der Rest des Ergebnisses verteilt sich auf kleinere Konzernbereiche.

Personenverkehr als Zugpferd

Das Minus der Infrastruktur führt das Management vorwiegend auf gestiegene Energiekosten zurück. Im Güterverkehr sei die beförderte Menge leicht gesunken, der Umsatz leicht gestiegen. Der Personenverkehr sei das „Zugpferd“ gewesen. Im Nahverkehr verzeichnete die Bahn 211 Millionen Fahrgäste, 29 Prozent mehr als 2021. Im Fernverkehr gab es einen Zuwachs um 71 Prozent auf den Rekordwert von 42 Millionen Menschen. 447 Passagiere wurden unter dem Strich in Zügen und Bussen der Staatsbahn transportiert.

Und wenn die Bahn das eins zu eins in ihren Tickets verrechnen könnte, würden wohl längst satte Gewinne sprudeln – oder nicht? Die Kunden reagieren auch auf Preisanpassungen. Ab einer gewissen Preisgrenze würden die Menschen überlegen, wieder auf den Individualverkehr umzusteigen, sagte Schiefer – also auf das Auto. „Wir wollen, dass die Leute öffentlich fahren.“ Schon jetzt verkaufen die ÖBB in vielen Bereichen keine Vollpreistickets – wie zum Beispiel bei Schülerfreifahrten. Das fällt dann unter „bestellte Verkehre und gemeinwirtschaftliche Leistungen“ und wird von der öffentlichen Hand refundiert.

Botschaft an den Steuerzahler

Die „Botschaft an den Steuerzahler“ lieferte der Finanzchef vorsorglich mit: „Unser Job ist es, diese Mittel betriebswirtschaftlich, effizient und sehr sparsam einzusetzen.“ Wobei die öffentlichen Zahlungen an die ÖBB im Vorjahr sogar um 70 Mio. Euro sanken und sich auf 3,48 Mrd. Euro summierten. Das sind Rückzahlungen für den Ausbau der Infrastruktur, eine Grundförderung für den Betrieb der Infrastruktur sowie die berühmten „bestellten Verkehre“: Zugfahrten, die nicht einträglich, aber von der Politik gewünscht sind. Würde man es bei jemand anderem bestellen, „müsste man es auch bezahlen“, sagte Schiefer.

Womit wir bei den Schulden der ÖBB wären, die im Jahresvergleich um zwei auf 29,4 Mrd. Euro zugelegt haben, nachdem es 2019 noch 25 Mrd. Euro waren. Den raschen Anstieg hatte Matthä bereits 2020 prognostiziert: Die Schulden fließen in den Ausbau der Infrastruktur, der Staat zahle sie den ÖBB über 30 Jahre zurück. So sparsam könne man gar nicht arbeiten, dass man das Bauvolumen ausgleichen könne, sagte Finanzvorstand Schiefer. Immerhin sei man bei der Finanzierung „ein bisschen listig“ gewesen: Man habe sich bemüht, Kredite aufzunehmen, als die Zinsen noch niedrig waren, als „positiven Faktor“ für die Zukunft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2023)

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