Interview

Wie sagt man bei euch? Der Cola?

Auch Friederike Mayröcker wurde von Thorsten Ahrend literarisch betreut.
Auch Friederike Mayröcker wurde von Thorsten Ahrend literarisch betreut. Imago images/Rudolf Gigler
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„Man hofft natürlich, dass das Feuilleton erkennt, wie großartig die Bücher sind.“ Über die Angst der österreichischen Autorinnen und Autoren vor der deutschen Literaturkritik und den schwierigen Umgang mit Austriazismen. Ein Gespräch mit Thorsten Ahrend, dem Programmleiter des deutschen Wallstein-Verlags.

Thorsten Ahrend ist seit 2004 Programmleiter der Belletristik bei Wallstein und Gesellschafter des deutschen Verlags. Eine Reihe österreichischer Autorinnen und Autoren publizieren bei ihm, unter vielen anderen Maja Haderlap, Teresa Präauer oder Clemens Berger. Zuvor war Ahrend Lektor bei Reclam und Suhrkamp. Seit 2018 ist er auch Geschäftsführer des Literaturhauses Leipzig.

Vor 30 Jahren haben Sie „Schlafes Bruder“ von Robert Schneider entdeckt. Inzwischen sind Sie Spezialist für österreichische Literatur. Das Manuskript wurde damals von sehr vielen Verlagen abgelehnt. Warum haben Sie an das Buch geglaubt?

Das war eine Stimme, die für mich sofort als eine singuläre Stimme vernehmbar war. Da riskiert ein ganz junger Autor sehr viel, erzählt was Unerwartetes, erzählt es auf eine unerwartete Weise mit ganz viel Pathos, der zugleich immer gebrochen ist und auch ins Komische führt. Das war keck und frech. Die Verlagsleitung kam damit gar nicht klar, dass wir jetzt lebende Autoren bringen wollten, noch dazu mit einer Geschichte von 1822 aus Vorarlberg. Aber es war nicht das erste österreichische Buch, das ich gemacht habe. Ich hatte davor schon einmal eine Auswahl von Christine Lavant gebracht.

Was hat Sie an der österreichischen Literatur angezogen?

Sie hat eine Intensität, die sich auch von der deutschen Literatur unterscheidet. Man redet viel über das Sprachbewusstsein, über die spielerischen Qualitäten dieser Literatur. Das sind alles grobe Verzeichnungen, die irgendwie stimmen und nicht stimmen. Am Ende muss jede Autorin, muss jeder Autor für sich betrachtet werden und hat diese Qualitäten oder eben noch nicht. Wenn man so verschiedene Persönlichkeiten nimmt, wie Peter Handke und Friederike Mayröcker, die ich ja beide länger betreut habe in meinen Suhrkamp-Jahren – natürlich haben die viel miteinander zu tun, und natürlich unterscheiden sie sich stark.

In Österreich haben Autorinnen und Autoren immer ein bisschen Angst vor dem deutschen Feuilleton.

Das deutsche Feuilleton hat natürliche eine große Wirkung, und wenn man in der „Süddeutschen“ oder in der „Frankfurter Allgemeinen“ oder in der „Zeit“ gelobt oder verrissen wird, dann entscheidet sich sehr viel. Das wirkt sich auf die Literatursituation, die der einzelne Autor, die einzelne Autorin in Österreich hat, aus. Den Verlagen geht es ja genauso. Die wissen ja auch nicht, wie das Feuilleton reagiert. Und die deutschen Autoren haben genauso Respekt oder Angst vor dem großen Feuilleton. Das ist ja nicht steuerbar, man versucht sein Möglichstes als Verlag. Man hofft natürlich, dass das Feuilleton erkennt, wie großartig die Bücher sind. Manchmal ist es nicht so, man kriegt eine Watsche, und dann leiden Verlag und Autoren gleichermaßen.

Haben deutsche Autorinnen und Autoren umgekehrt Angst vor dem österreichischen Feuilleton?

Es gibt naturgemäß in Österreich ein forciertes Interesse für österreichische Autorinnen und Autoren, egal ob sie in österreichischen oder deutschen Verlagen veröffentlichen. Auch österreichische Preise wie der Bachmann-Preis oder der Rauriser Literaturpreis haben Wirkungen, die für Schreibende aus Österreich im ersten Anlauf größer sind als für Schreibende aus Deutschland. Trotzdem lesen die deutschen Schreibenden normalerweise alle Kritiken und Feuilletons mit Neugier, egal ob sie in Deutschland, Österreich oder in der Schweiz erscheinen. In der ersten Garde ist der Erfolg sicher in allen drei deutschsprachigen Länder relativ synchron, im sogenannten Mittelfeld sind die Favoriten eher die des eigenen Landes. Insofern wird es wohl selten sein, dass ein deutscher Autor über Erfolg in Österreich dann zu einem Erfolgsautor auch in Deutschland wird. Trotzdem wird er oder sie die österreichischen Feuilletons sehr aufmerksam scannen.

Wie wird die österreichische Literatur in Deutschland wahrgenommen?

Dass das deutsche Feuilleton österreichische Autorinnen und Autoren weniger wahrnimmt, kann ich nicht bestätigen. Sie werden nach Rang wahrgenommen. Ich habe natürlich als Lektor manchmal mit Austriazismen zu kämpfen, und ich weiß, damit kann man spielerisch umgehen. Man kann sagen, das ist mir ganz egal, wie ihr da in Hochdeutschland dazu sagt, und Nord und Süd unterscheiden sich auch noch mal, und Ost und West unterscheiden sich innerhalb Deutschlands sehr. Bei Bernhard war ganz klar, dass er sagt, ich bin gestanden und ich bin gesessen, dass er nicht das deutsche habe verwendet hat. Ich habe Autorinnen, die wollen nicht die schweizerischen oder die österreichischen Varianten haben, und so ein Wort wie im Schweizerischen: Parkieren, ist völlig normal, aber klingt im Deutschen komisch, und dann haben sie gesagt, nee, dann nehmen wir Parken, das wollen wir so. Peter Handke etwa ist damit ganz spielerisch umgegangen. Bei Teresa Präauer oder Anna Bar gibt es natürlich auch immer Gespräche darüber. Wenn man erst in einem Wörterbuch nachschlagen muss, dann ist es vielleicht nicht so sinnvoll, es in der Austria-Variante zu haben. „Eine Zigarette oder einen Tschick austöten, muss das sein?“, habe ich gefragt. „Ja, das sagt man hier so.“ Aber es ist ja gut, wenn eine Lektorin und ein Autor einen Text mit fragenden Augen anblicken und sagen, es soll so bleiben, oder nein, ich schreibe einfach so, dann redet man drüber, und am Ende trifft der Autor eine Entscheidung. Ihr sagt, glaube ich, das Cola, oder sagt ihr der Cola?

Das Cola.

Das Cola. Ich habe gesagt: „Wollen wir nicht wenigstens Flasche davor schreiben?“ Gabriele Kögl hat gemeint: „Das klingt total falsch, wenn ich sage: ,Gib mir mal die Cola rüber‘ oder ,Ich trinke die Cola‘. Und dann habe ich gesagt: ,Wollen wir lieber Flasche nehmen?‘“ Dann ist es entschärft. Aber das sind wirklich Abseitigkeiten.

Wie sehr spielt die Geografie, die Landschaft, eine Rolle? Und würden Sie ein österreichisch geschriebenes Buch sogleich als solches erkennen?

Es geht ja um die Handlungsorte oder die Erinnerungsräume, die in Büchern aufgemacht werden. Wenn man sich jetzt fragt, ob Robert Menasses Buch weitgehend in Albanien spielt oder in Brüssel das vorhergehende, ist das trotzdem sofort erkennbar als österreichisch. Ich glaube, ein geschulter Leser würde, auch wenn der Name Menasse nicht draufstünde, erkennen, dass das ein österreichisches Buch ist, geschrieben von einem Österreicher. Aber am Ende bemisst sich daran ja nicht Qualität oder Popularität und auch nicht Erfolg.

Wenn wir englische Bücher lesen oder amerikanische, ist uns das von den Lebenserfahrungen und Lebenssituationen, die wir haben, wahrscheinlich plausibler als etwa ein Buch aus einem EU-Staat, der uns aus den Zusammenhängen weniger bekannt ist. Sagen wir mal, ein litauischer Roman, ein estnischer Roman, ein kroatischer Roman, die interessieren uns ja nicht nur literarisch. Ein Teil unseres Interesses kommt daher, dass wir neugierig sind, was ist in diesen Ländern los und erzählenswert; wie wird erzählt oder welche Lyrik wird geschrieben?

Es spricht auch deswegen zu uns als Leser, weil ein menschliches Problem in den Mittelpunkt gerückt wird, das mich ebenso betrifft. Ich glaube, die Mehrheit der Leserinnen und Leser fragt danach, kommt da etwas zur Sprache, was auch mein eigenes Problem ist oder meine eigene Lust oder meine eigene Unlust. Ein ethnografisches Interesse gibt es auch. Aber das ist ja nicht die Fragestellung, wenn ich ein Buch lese, dass ich unbedingt rauskriegen muss, wo es spielt; es gibt ja fiktive Orte. Dann kann man sagen, das reale Vorbild für diesen Ort ist vielleicht dieser oder jener, dann sagt jeder Autor, ja, aber eins zu eins habe ich den natürlich nicht abgespiegelt, wie auch jede Figur nicht abgespiegelt ist nach einem Eins-zu-eins-Vorbild.

Gibt es spezielle österreichische Themen?

Die österreichische Beschäftigung mit dem Tod, mit dem Verzweifelten, das ist etwas, was als Klischee immer über der österreichischen Literatur liegt. Man kann das auch ins Positive wenden und sagen, ein bewussterer Umgang mit Verderbnis und mit Themen am Lebensende gibt es wahrscheinlich tatsächlich in der österreichischen Literatur. Aber wir sind uns am Ende nur eines Teils unserer Klischees bewusst, und wenn man Thomas Bernhard als Übertreibungskünstler betrachtet und diese Energie seiner Schimpfkanonaden nimmt, die gibt es so vielleicht überhaupt nicht noch einmal, auch nicht in der deutschen Literatur. Und wenn man sagt, aber das ist das Österreichische an ihm – ja, vielleicht. Die Inszenierung seiner Skandale, wie „Heldenplatz“, das hat vielleicht auf diese Weise nur in Wien funktionieren können. Wahrscheinlich hat er sich prächtig darüber amüsiert.

Glauben Sie, dass die österreichische Literatur durch den Schwerpunkt in Leipzig einen Aufschwung erreicht?

Die österreichische Literatur hat einen absolut hohen Stellenwert in Deutschland. Sie ist super repräsentiert, sie muss nicht aus dem Dunkel ans Licht befördert werden – sie ist schon total im Licht. Und wenn das noch ein bisschen mehr Strahlkraft und Glamour bekommt: wunderbar!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2023)

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