Leipziger Buchmesse

Match der Autoren: Schweiz gegen Österreich – eins zu null

Österreichische Autorenmannschaft, 2008
Österreichische Autorenmannschaft, 2008IG Autoren Autorinnen Österreich
  • Drucken

Das Freundschaftsspiel der zwei Autoren-Nationalmannschaften endete mit einigen Verletzten sowie kurzen Lesungen am Rande des Felds.

Die österreichischen Schriftsteller gewannen in Zürich haushoch: Sie waren im Durchschnitt um einen Kopf größer und robuster, mancher hatte sogar Noppenschuhe an. Vor allem aber hatten sie den größeren Siegeswillen, rannten sich die Seele aus dem Leib, kickten stumm, gaben alles. Die Schweizer Spieler waren viel zu gelassen und redselig, ich hörte sie, von der Zuschauertribüne aus, witzeln, in unterschiedlichen Dialekten, während bei den Österreichern ein sprachfreudiger Franzobel glatt ausgewechselt und auf die Kommentatorenbank geschickt wurde. Dort feierte Franzobel mit beißendem Witz auf Kosten der Schweizer seine Parteilichkeit, gab noch sein Übriges zur frustrierenden Niederlage der Eidgenossen. Das Freundschaftsspiel der zwei Schriftsteller-Nationalmannschaften endete mit einigen Verletzten sowie mit kurzen Lesungen am Rande des Felds – für viele das eigentliche Highlight dieses Treffens.

Es soll viel zu wenig literarischen Austausch zwischen den beiden Nachbarländern geben. Nur wenige Schweizer Literaten würden nach Österreich eingeladen – und umgekehrt, sagte man mir. Die Gründe dafür werden in der Eigenbrötelei des jeweils anderen vermutet. „Österreicher lesen nur Österreicher“ et idem.

Beim Nachtessen der beiden Teams bekam ich, als Schweizer „Spielerfrau“ rumänischer Herkunft, die Gründe für die schweizerisch-österreichische Rivalität aufgezählt, die hauptsächlich vom Ski-Wettbewerb herrührt und sich in der Höhe der Berge erfüllt: Die Schweiz hat 48 Viertausender, Österreich keinen einzigen!

Das Rückspiel in Wien erlebte ich nicht mehr live, wohl aber aus den Berichten der niedergeschlagenen Schweizer: Die österreichische Schriftstellermannschaft hatte sich einen Profitrainer genommen, einen harten Hund, der den Schweizern verboten hatte, sich auf dem Feld einzuwärmen und der während der Partie seine Spieler angeheizt, ihnen unablässig „Macht sie fertig“ zugerufen hatte. Mein Mann, der Mittelfeldspieler, kam heim mit einer zerbrochenen Brille.

„Ich spiele beim nächsten Mal mit, dann werden sie was erleben“, sagte ich, ließ es dann aber sein, denn ich spiele lieber Tennis – übrigens regelmäßig mit einer österreichischen Autorin.

Robert Menasse steckte im Lift fest

Diese beiden Fußballspiele, von denen ich weiß, sind nun fünfzehn Jahre her. Inzwischen gab es ein Autoren-Fußballspiel in Budapest: Ungarn gegen Österreich/Schweiz! Das Torverhältnis haben die meisten mir Berichtenden vergessen, wohl aber nicht, dass Robert Menasse, der als Ehrenpräsident des Doppelteams figurierte, in einem Aufzug aus Glas für zwei Stunden stecken geblieben war, zur heimlichen Freude seiner Landsleute, von denen einer gesagt haben soll: „Dass ich das noch erleben darf: eine permanente Menasse-Ausstellung!“ (Verzeih, lieber Robert, dass ich dies aus Freude an der Pointe kolportiere!)

Es ist nicht immer einfach, den Teamspirit zu leben in der Autorenmannschaft, könnte man denken. Mittlerweile hat das Schweizer Team zwei Frauen im Kader. Das österreichische keine. 1:0 für die Schweiz!

Ist es nun wirklich so, dass sich die Schweiz und Österreich für die Literatur des jeweils anderen nur mäßig interessieren? Von der Seite der Autorinnen und Autoren kann ich sagen, dass dem nicht so ist: Der Austausch ist rege.

Als Verlegerin des kleinen, aufstrebenden Telegramme Verlags, den ich in Zürich mit meinem Mann führe, kann ich wiederum sagen, dass sich unsere Schweizer Bücher in Österreich nur mäßig verkaufen. Eine Ausnahme war Angelika Overaths zweisprachiger Gedichtband, auf Deutsch und Vallader, „Schwarzhandel mit dem Himmel / Marchà nair cul azul“. Angelika ist als deutsche Autorin nach Graubünden gezogen und hat dichtend das romanische Idiom gelernt. Zärtlich tastet sie sich an das Sagbare heran – vielleicht berührt diese freundliche Landnahme durch Spracherwerb Schweizer und österreichische Lesende gleichermaßen.

Ich erinnere mich an meinen Spracherwerb des Deutschen in Bukarest: Jeden dritten Tag kam mich Tante Johanna besuchen und führte mich auf einem Spaziergang über den Platz der Helden. Das war in den Achtzigerjahren, unter der kommunistischen Diktatur. Die Stadt war unendlich grau und trostlos, bemerke ich wieder einmal auf alten Fotos, damals sah ich es nicht, denn mich begeisterte alles Mögliche und vor allem meine Tante Johanna aus Salzburg in ihren pastellfarbenen Anzügen. Die Passanten schauten ihr hinterher, denn sie ging in ihrem hohen Alter kerzengerade und war adrett, mit großen Ohrclips und schneeweißen ondulierten Haaren, die sie unter einem Netz hielt. Sie hatte eine pergamentene Haut, noch nie hatte ich so eine alte Haut gesehen, dafür mit so schön lackierten Nägeln, in zartrosa. Am rechten Ringfinger trug sie einen Goldring mit kleiner Schleife, am linken zwei Eheringe: einen großen, von ihrem verstorbenen Mann, und den ihren, der den lockeren Ring am Ausrutschen hinderte.

Ich weiß noch, wie wir einmal länger als sonst unter den Linden spazierten und das karge Laternenlicht über der Heldenstatue plötzlich anging. Der weiße Kiesel davor funkelte wie die Milchstraße. „Kennst du die Geschichte von den Sterntalern?“, fragte Tante Johanna. Diese Frage hallt immer noch in mir nach, wenn ich an Österreich denke, und ich sehe auch gleich den weißen Kiesel, der funkelt.

Reime à la Ernst Jandl

Tante Johanna war wegen der Liebe nach Rumänien gekommen. Es muss eine große Liebe gewesen sein, dass sie im kommunistischen Land blieb . . . Wobei, ich denke heute, dass sie eigentlich gar nicht in diesem diktatorischen Land angekommen war, denn sie lebte ganz bei sich, erstaunlich elegant und gelassen. Sie hatte zum Beispiel eine rumänisch-deutsche Zeitung abonniert, die „Der neue Weg“ hieß, und las darin zuallererst das Gedicht. Manche Gedichte kannte sie auswendig und blieb mitten auf der Straße stehen, um sie mit mir einzuüben. Es waren keine patriotischen Gedichte, wie damals in der Schule, sondern eher Reime à la Ernst Jandl. Mit ihrer Hand markierte sie den Zeilenumbruch.

Nach etwa zehn Jahren, in denen ich mit Tante Johanna spaziert war, müssen ihre Finger breiter geworden sein, denn irgendwann passte ihr der sonst locker sitzende Ehering ihres verstorbenen Mannes ganz genau, als wäre er für sie gemacht worden. Sie trug nur noch diesen.

Manchmal bekam Tante Johanna ein „Packerl“ aus Österreich, und dann brachte sie mir eine Handvoll Mozartkugeln. Ich mochte die Kugeln nicht, aß sie aber alle auf einmal, weil sie von Tante Johanna waren, aus ihrem Salzburg.

Vergangenes Jahr im Mai las ich, auf Einladung von Teresa Präauer, zusammen mit Norbert Gstrein und Franz Hohler bei der Eröffnung des Literaturfests Salzburg. Endlich Tante Johannas Salzburg! Ich kaufte mir eine Schachtel Mozartkugeln und dann gleich noch eine für meinen Mann und meine beiden Kinder zu Hause in Zürich.

Nach den Lesungen kam eine begeisterte Zuhörerin an unseren Tisch und adressierte ihren Landsmann, den großen Norbert Gstrein. „Ich weiß, wer Sie sind“, rief sie plötzlich aus. „Sie sind der Bruder vom Skifahrer!“

Dana Grigorcea

1979 in Bukarest geboren, Studien in Gent und Brüssel, lebt in der Schweiz. Ihr Roman „Die nicht sterben“, erschienen bei Penguin, wurde 2021 für den Deutschen Buchpreis nominiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2023)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.