Glaubensfrage

Allianz gegen eine westliche Dekadenz?

Bilden, Papst Franziskus und Viktor Orbán. Eine Allianz gegen eine behauptete westliche Dekadenz? Nein. Aber der Eindruck könnte sich beim dreitägigen Besuch des Kirchenoberhaupts diese Woche aufdrängen.

Viktor Orbán als schillernde Figur zu bezeichnen, zeugt mehr von Mutlosigkeit denn von Tapferkeit. Er, der sich gern als in der EU Ausgegrenzter stilisiert, stellt sich nicht selten selbst an den Rand oder positioniert sich sogar außerhalb dessen, was im Überschwang der Gefühle schon einmal europäische Familie genannt wird. Ihm wird diese Woche große Ehre zuteil.

Papst Franziskus besucht von Freitag bis Sonntag Ungarn. Das Oberhaupt der Katholiken trifft den Calvinisten Viktor Orbán, der mit einer Katholikin verheiratet ist. Jenen Mann, der Homosexuelle in die Nähe von Pädophilen gerückt, der mit seiner Fidesz-Partei ein Gesetze zur (gegen) Homosexualität beschlossen hat, gegen das die EU-Kommission mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof anrückt. Unter anderem ist Unternehmen Werbung staatlich verboten, die sich mit Homo- und Transsexuellen solidarisch erklären.

Papst Franziskus wird jenen Politiker treffen, der sich als Verteidiger des Christentums gegen den Islam sieht, jede neue Kirche als eine „Bastei im Kampf für die Freiheit und Größe der Nation“ definiert und der der christlichen Zivilisation Europas vorwirft, seine „Mission“ zu verraten, sein kulturelles und geistiges Erbe aufzugeben und seine Zukunft „wegzuwerfen“.

Viktor Orbán, Russland-Versteher auch, ein Mann ganz im Sinne von Papst Franziskus? Eine neue Allianz? Nein und noch einmal nein, auch wenn mancher Rechtsaußen das genau so sehen mag, womöglich sogar im Vatikan selbst.

Zwar wird auch der Papst das Engagement der Orbán-Regierung gegen die öffentlich sträflich unterbelichtete Christenverfolgung vieler Staaten (mehr als 70!), die ein nie gekanntes Ausmaß erreicht, sehr wohl gutheißen. Und dass es sogar einen Staatssekretär für Programme zur Unterstützung verfolgter Christen gibt, wird Franziskus auch gefallen. Weit weniger jedoch, was der betreffende Funktionsinhaber so sagt, Tristan Azbej. Man sollte nicht „Unruhestifter hierher bringen, sondern dort helfen, wo Unruhe herrscht“, meint der beispielsweise. Hingegen wird Papst Franziskus, dessen erste Reise in seinem Amt 2013 ausgerechnet der Flüchtlingsinsel Lampedusa gegolten hat, justament auch Flüchtlinge bei seinem Besuch in Ungarn treffen – ein interessanter Kontrapunkt.

Die katholische Kirche Ungarns hat sich zu allem, was die populistische, nationale, semi-autoritäre Regierung sagt und tut mehr oder weniger ein Schweigegelübde auferlegt. Auf die großzügige finanzielle Unterstützung durch den Staat verzichtet man ungern. Geld regiert die Welt, selbst die Glaubenswelt – so schwer das zu glauben ist.

dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.04.2023)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.