Der ökonomische Blick

Wie konnten Europas Großbanken derart an Strahlkraft verlieren?

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Während US-Großbanken in neuem Glanz erstrahlen, verloren Europas Geldhäuser seit der globalen Finanzkrise deutlich an Wettbewerbsfähigkeit. Wie kam es dazu? Und wie könnte die Politik gegensteuern?

Trotz multipler Krisen in der Welt erstrahlen die US-amerikanischen Großbanken im Lichte der aktuellen Quartalszahlen in neuem Glanz. Während die Bank of America ihren Nettoquartalsgewinn gegenüber dem Vorjahr um 15 Prozent auf 8,2 Milliarden Dollar erhöhen konnte, gelang dem Branchenprimus J.P. Morgan sogar ein beeindruckender Zuwachs von 52 Prozent auf 12,6 Milliarden Dollar. Bereits bei den Jahresgewinnen für 2022 verbucht J.P. Morgan beeindruckende 35 Milliarden Dollar im Vergleich zu den 10,2 Milliarden Dollar des europäischen Branchenprimus BNP Paribas, 7,5 Milliarden Dollar der UBS und fünf Milliarden Dollar der Deutschen Bank.

Jede Woche gestaltet die „Nationalökonomische Gesellschaft" (NOeG) in Kooperation mit der "Presse" einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften. Dieser Beitrag ist auch Teil des Defacto Blogs der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an der Central European University (CEU). Die CEU ist seit 2019 in Wien ansässig.

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Auch in den Marktbewertungen dominieren aktuell die Banken aus USA und China. So findet sich lediglich die BNP Paribas an 17. Stelle als einzige europäische Großbank unter den Top-20 in den internationalen Ranglisten, während die UBS den 21. und die Deutsche Bank gar den 46. Rang einnimmt.  Das war nicht immer so; am Vorabend der globalen Finanzkrise im Dezember 2006 befanden sich sieben europäische Banken unter den Top-10, angeführt von UBS, BNP Paribas und Barclays, während die amerikanischen Citigroup, Bank of America und J.P. Morgan die Ränge 4, 10 und 11 einnahmen.

Wie konnten die europäischen Banken seit der globalen Finanzkrise derart an Wettbewerbsfähigkeit verlieren? Letztlich haben doch die meisten europäischen Großbanken die Finanzkrise gut überstanden. Lediglich die UBS und Royal Bank of Scottland mussten vom Steuerzahler gerettet und neu aufgestellt werden. In den USA dagegen sind neben vielen kleineren Banken auch Großbanken aus dem Markt ausgeschieden, wie Bear Stearns und Lehman Brothers.

Große Unterschiede in der Krisenbewältigung

Während in jedem Einzelfall die Gründe für das relative Wiedererstarken der US-Institute vielfältig sein mögen, zeichnet sich mittlerweile aber auch eine gewisse Systematik ab, da die Krisenbewältigung auf den beiden Seiten des Atlantiks sehr unterschiedlich verlaufen ist. Während in den USA unter der Obama Regierung eine Zwangsrekapitalisierung der Großbanken durchgeführt wurde, um deren Kapitalbasis zu stärken und deren Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen, haben die europäischen Banken mit Billigung der Aufsicht weitgehend auf eine vergleichbare Stärkung ihres Eigenkapitals verzichtet. Stattdessen wurden insbesondere Nachranganleihen ausgegeben, die im Krisenfall automatisch in Aktien gewandelt werden. Diese konditionalen Wandelanleihen haben für die Emittenten die Vorzüge, dass sie im Normalfall wie steuerbegünstigtes Fremdkapital wirken und keine Stimmrechte gewähren. Weiterhin wurden auch andere aufsichtsrechtlichen Regelungen zur Berechnung von Markt- und Kreditrisiken auf den beiden Seiten des Atlantiks sehr unterschiedlich umgesetzt.

Daraus resultieren zwar ähnliche Zielwerte bezüglich des aufsichtsrechtlich relevanten Kernkapitals, doch werden die Unterschiede sehr deutlich, wenn man sich die aufsichtsrechtlich weniger bedeutsame Verschuldungsquoten ansieht. So weisen Societe General Quoten von 79,83, Credit Agricole 63,93, Deutsche Bank 64,41, Barclays Bank 59,56 und der Branchenprimus BNP von 35,83 auf. Das ist deutlich mehr als für die größten US-Banken, deren Verschuldungsquoten mit Ausnahme von Citigroup (25,06) in einer Spanne von 8,53 bis 13,16 liegen. Diese starke Präferenz europäischer Banken für Fremdkapital liegt u.a. an der steuerlichen Absetzbarkeit von Schuldzinsen und der regulatorisch für Banken günstigen Behandlung von Staatsanleihen als risikolos. 

In der Konsequenz sind europäische Banken einem größeren Systemrisiko ausgesetzt, da die Kapitalmärkte die ökonomischen Risiken bewerten und sich nicht nur an den regulatorischen Zielwerten orientieren. Vielmehr bewerten die Märkte die jeweiligen Banken zusammen mit deren regulatorischem Umfeld. Insofern preisen sie auch die aufsichtsrechtlichen Regelungen in den Aktienkursen ein. Aktuell bedeutet dies, dass die Aktien von US-Banken zum Teil erheblich über deren Buchwerten und die Aktien der europäischen Banken zum Teil deutlich darunter gehandelt werden. In der Konsequenz wird es im Krisenfall in Europa deutlich teurer werden, Großbanken zu retten.

Steuerreform könnte für neuen Glanz sorgen

Wie könnte nun die Krisenstabilität erhöht werden und gegebenenfalls die Wettbewerbsfähigkeit noch dazu? Der Schlüssel hierzu sind Erhöhung des Eigenkapitals und Reduktion des Fremdkapitals. Beides haben Banken im Nachgang zur Finanzmarktkrise nicht freiwillig getan. Und auch die Aufsicht hat Beißhemmung bei den Großbanken. Insofern könnte es eine Aufgabe der Politik sein, die aktuell gewährten Steuervorteile auf destabilisierendes Fremdkapital abzubauen und stattdessen stabilitätsförderndes Eigenkapital zu subventionieren.

Mit einer solchen Steuerreform könnten sowohl die Verschuldungsquote reduziert und zugleich die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Banken erhöht werden. Solche Reformen können in Europa national umgesetzt werden. Sie haben für den Steuerzahler den zusätzlichen Charme, durch die Erhöhung der Krisenfestigkeit ihrer Großbanken die Notwendigkeit drohender teurer künftiger Rettungsmaßnahmen wie etwa kürzlich im Falle der Credit Suisse deutlich zu verringern.

Der Autor

Thomas Gehrig ist Professor für Finanzwirtschaft an der Universität Wien und Mitglied der Vienna Graduate School of Finance sowie des Center for Economic Policy Research in London. Er forscht über Finanzkrisen und Bankenresilienz und hielt sich kürzlich zu Forschungszwecken an der London School of Economics, der Stanford University und am Forschungsinstitut EIEF der Banca d’Italia auf.

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