Timor et terror

Wenn Köpfe rollen, kann es nicht schlimmer werden

Das russische Enthauptungsvideo demonstriert die Verrohung von Soldaten in diesem konventionellen Krieg.

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Dr. phil. David Christopher Jaklin (*1983) ist Historiker und sicherheitspolitischer Analyst. Er widmet sich Themenbereichen der hybriden Bedrohungen/Kriegsführung. Er forscht als Affiliated Researcher am Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies (Graz).

Schreie, die durch Mark und Bein gehen und die man nicht so schnell vergisst. Das Enthauptungsvideo eines ukrainischen Soldaten, das in den vergangenen Tagen in diversen Social-Media-Kanälen auftauchte, zeigt erneut die Grausamkeiten, die in der Ukraine stattfinden. Genaue Umstände sind noch unklar, aber es soll im Sommer vorigen Jahres in der Region Bachmut aufgenommen worden sein.

Seit über einem Jahr versucht Russland in der Ukraine die eigenen Interessen durchzusetzen, ist jedoch aufgrund der entschlossenen Gegenwehr und der Unterstützung des Westens in einen zermürbenden Abnützungskrieg verwickelt. Mittlerweile greift die russische Armee deshalb nicht nur auf schlecht ausgebildete und frisch mobilisierte Soldaten aus den ärmsten Schichten des Landes zurück, sondern auch auf Kämpfer der paramilitärischen Gruppe Wagner. Diese ist beinahe täglich in den Schlagzeilen. Sei es wegen der Rekrutierung von Schwerverbrechern aus den russischen Gefängnissen, deren Verwendung als sprichwörtliches Kanonenfutter (mit bis zu 500 Toten am Tag), oder eben wegen Gräueltaten, wie sie im besagten Enthauptungsvideo zu sehen sind. Dessen Ursprung soll nämlich in den Reihen der Militärfirma zu finden sein. Der nach Norwegen geflohene Ex-Wagner-Kämpfer Andrej Medwedew ist sich sicher, ehemalige Kampfgefährten anhand ihrer Stimmen und Ausdrucksweise in der Aufnahme identifiziert zu haben. Dem widerspricht Wagner-Finanzier Jewgeni Prigoschin, der sich auf Telegram unwissend gibt und Medwedew mit derben Obszönitäten beschimpft. Prigoschin zufolge könne man weder sagen, ob es sich um Kämpfer von Wagner handelt, noch, ob das Video überhaupt in der Region Bachmut gedreht worden sei. Auch der Pressesprecher des Kreml, Dmitri Peskow, relativierte die Aufnahmen. Sie seien „schrecklich“, jedoch in einer Welt voller „Fakes“ schwer zu authentifizieren.


Abwegig erscheint der Ursprung jedenfalls nicht, wurden doch bereits Deserteure der Gruppe Wagner mit Vorschlaghämmern exekutiert und wurde dies in diversen Telegram-Kanälen medienwirksam zur Schau gestellt. Es ist auch nicht das erste Exekutionsvideo der Einheit. Bereits 2017 filmten sich Mitglieder bei der Exekution und Verstümmelung eines syrischen Kriegsgefangenen in Homs. Aufgrund der Brutalität überrascht es also nicht, dass von offiziellen ukrainischen wie auch anderen Seiten Vergleiche zu Exekutionsvideos islamistischer Terrormilizen wie dem „Islamischen Staat“ gezogen werden. Zahlreiche jihadistische Gruppierungen nutzten diese Art von Medium dazu, um eine explizite Botschaft an ihre Feinde zu schicken. Der Global War on Terrorism war geprägt von einer Reihe dieser grausamen Videos, die in ihrem Ablauf genau durchchoreografiert waren und einen Höhepunkt zwischen 2002 und 2004 erreichten, bis sie schließlich 2014 vom IS wieder als Propagandamittel eingesetzt wurden – jedoch in einer Qualität, die alles davor Gewesene in den Schatten stellte. Das Kalkül dahinter war und ist vielfältig: Kopfgelder, die Schwächung ausländischer Investitionen, das Brechen gegnerischer Entschlossenheit, die Rekrutierung neuer Anhänger oder das Schüren von Angst in der Bevölkerung. Letzten Endes versuchte man auch politische Reaktionen des Westens zu provozieren.

Seit dem Tschetschenien-Krieg

Es wäre aber irreführend, den Ursprung solcher psychologischer und propagandistischer Kriegsführung im Nahen/Mittleren Osten zu suchen. Tatsächlich findet man Videos dieser Art bereits im ersten Tschetschenien-Krieg Russlands in den 1990er-Jahren. Eine weite Verbreitung erfuhren diese jedoch aufgrund der damals begrenzten technologischen Möglichkeiten und einer viel zurückhaltenderen Medienlandschaft nicht. Dennoch zeigten einschlägige Internetseiten, wie russische Soldaten dasselbe grausame Schicksal erfuhren. Das Potenzial dieses Mediums als psychologische Waffe ist den russischen Streitkräften seit damals also nicht fremd. Nicht zuletzt deshalb, weil die Gruppe Wagner auch Veteranen dieser Tschetschenien-Kriege einsetzt.

Gleichzeitig demonstriert es auch die Verrohung von Soldaten in diesem konventionellen Krieg, der in der jüngsten Vergangenheit in puncto Intensität kein Äquivalent hat. Einerseits demonstrieren die Verantwortlichen damit ihre Entschlossenheit, wie weit sie zu gehen gewillt sind, wenn es um das Erreichen ihrer Ziele geht. Andererseits kann man darin auch eine Schwäche der russischen Seite sehen. Entweder weil man keine Kontrolle über die eigenen Kämpfer hat, oder weil man auf solche Mittel zurückgreifen muss, um Macht zu demonstrieren. Denn letzten Endes zahlt Russland einen verheerenden Blutzoll für geringfügige Geländegewinne und zeichnet sich dabei nicht durch militärische Effizienz aus.

Nichtsdestotrotz täte man gut daran, diese Vorgehensweise nicht auf die leichte Schulter zu nehmen und bei der Betrachtung der aktuellen geopolitischen Entwicklungen miteinzubeziehen. Kämpfer, die Kriegsverbrechen begehen, paramilitärische und politische Akteure, die jegliche Verantwortung leugnen, und ein russischer Staat, der nach über einem Jahr Krieg nicht von seinen Fantasien eines Großrussland abweicht, führen klar vor Augen, dass wir Zeugen einer historischen Zäsur werden, die uns für die kommenden Jahrzehnte politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich begleiten wird. Dies wird sich auch in der internationalen Aufarbeitung russischer Kriegsverbrechen in der Ukraine widerspiegeln.Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

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