Literaturmesse Leipzig

Österreich auf der Buchmesse: „Unser Wir-Begriff ist nicht abgeschlossen“

Gastland Oesterreich Leipziger Buchmesse 2023
Gastland Oesterreich Leipziger Buchmesse 2023(c) Janine Schmitz/photothek.de (Janine Schmitz/photothek.de)
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Österreich ist Gastland auf der Buchmesse Leipzig. Weltläufig soll der Auftritt sein, sagt Programmleiterin Katja Gasser.

Für das Publikum beschränkt sich die Leipziger Buchmesse auf ein paar wenige Tage Ende April. Für Katja Gasser aber hat sie wohl schon vor eineinhalb Jahren inoffiziell begonnen, und die Lesungen, Touren sowie der Podcast zum Auftritt des Gastlandes Österreich liefen ein halbes Jahr später so richtig an. Die Journalistin und mehrmals ausgezeichnete Literaturkritikerin hat die künstlerische Leitung des Österreich-Auftritts unter dem Motto „meaoiswiamia“ übernommen und – wie sie es formuliert – „jeden einzelnen Beistrich im Programm gesetzt“. 110 Veranstaltungen umfasst dieses Programm allein für die Tage vom 27. bis 30. April in Leipzig: Die Schaubühne Lindenfels wird dort als Stadtzentrale des Gastlandes fungieren, 60 Verlage und rund 200 österreichische Autorinnen und Autoren sind zu Gast. Darunter etwa Raphaela Edelbauer, Franzobel, Arno Geiger, Monika Helfer, Dževad Karahasan, Michael Köhlmeier und Ana Marwan. Mit dem „Schaufenster“ spricht Gasser über den Programmschwerpunkt, die Relevanz von Buchmessen und die Schwierigkeit, diverse literarische Erzeugnisse mit einer nationalen Klammer zu erfassen.

„Die Presse": Gedacht ist das Motto „meaoiswiamia“ als Gegenentwurf zu der, wie Sie meinen, in Österreich tief verwurzelten Haltung „mia san mia“. Was verstehen Sie darunter?

Katja Gasser: Das Thema ist politisch gesetzt. Es geht darum, Österreich als ein Land zu präsentieren, das der Veränderung unterworfen ist und dessen Wir-Begriff nicht abgeschlossen ist. Um es plakativ zu machen: Zuletzt stellte Österreich 1995 das Gastland bei der Buchmesse in Frankfurt, da waren wir gerade frisch in der EU. Die Autoren, die damals im Vordergrund standen, waren eine sehr homogene Gruppe, überwiegend männlich und weiß. Unsere aktuelle Kampagne spiegelt die gesellschaftliche Veränderung seit damals wider, mit Vertreterinnen und Vertretern wie der ukrainisch-österreichischen Autorin Tanja Maljartschuk, der in Sarajevo geborenen und in Wien arbeitenden Übersetzerin Mascha Dabić oder dem aus dem Kongo stammenden Autor Fiston Mwanza Mujila, der sich in der Tradition Ernst Jandls versteht. Die Szene hat sich verbreitert, Österreich ist weltläufiger geworden. Was ich noch hinzufügen will: Wir wollen Heterogenität zeigen, weil sie ein Fakt ist und kein qualitativer Wert in sich. Herkunft allein zeichnet noch nicht literarisch aus. Die Texte müssen halten, unabhängig von der Biografie des Autors oder der Autorin. Das Schöne ist, dass es da häufig zu Überlappungen kommt und spannende Biografien auf höchst spannende Texte treffen. Das ist der Idealzustand.

Autor Bodo Hell
Autor Bodo HellIngo Pertramer

Nun ist es Ihnen mit dieser Schwerpunktsetzung besonders wichtig, ein heterogenes, diverses Bild der österreichischen Literaturszene zu zeigen. Was ist aber das Verbindende, das die österreichische Literatur dann zusammenhält?

Was man sagen kann: Die Bereitschaft, in Österreich Literatur als Arbeit mit und an der Sprache zu begreifen, ist sehr ausgeprägt. Das mag am guten Fördersystem im Land liegen, was es möglich macht, marktunabhängig zu schreiben. Es hat aber auch kulturelle Gründe. Schon früher wurde argumentiert, dass die österreichische Experimentierfreude mit der Mehrsprachigkeit und Multikulturalität im Land zu tun hat. Dadurch war die Beschäftigung mit Sprache immer etwas Existenzielles. Gleichzeitig muss man auch sagen, dass die größten Exporte heimischer Literatur, etwa Daniel Kehlmann, Christoph Ransmayr, Michael Köhlmeier oder Arno Geiger, Repräsentanten einer sehr klassischen narrativen Literatur und trotzdem natürlich österreichisch sind. Es ist wohl einfach die Vielfalt, die uns ausmacht.

Es ist ganz offensichtlich nicht so einfach, Literatur an ihrer Herkunft festzumachen. Hat der künstliche Fokus auf die Nationalität durch das Bestimmen eines Gastlands überhaupt noch eine Berechtigung?

Ich glaube, dieser nationale Fokus kann nur dann bestehen bleiben, wenn Gastländer die Fragilität ihres nationalen Konstrukts mitdenken. Wir möchten zwar in und rund um Leipzig einerseits als selbstbewusstes Land auftreten, aber auch zeigen, dass wir um unsere Geschichte wissen und auch darum, dass jede Vorstellung und Darstellung einer homogenen Nation in eine Katastrophe münden kann. Diese Selbstreflektiertheit werden Gastländer in Zukunft mitrepräsentieren müssen.

Der Anteil österreichischer Literatur am deutschen Markt beläuft sich auf etwa zwei Prozent, am heimischen Markt auf 15 Prozent. Was machen wir falsch?

Auf dem Buchmarkt hat man es mit ökonomischen Playern einer Größe zu tun, mit der man sich in Österreich schwer messen kann. Die heimische Verlagslandschaft zeichnet sich durch ihre Kleinteiligkeit aus. Das hat Vor- und Nachteile. Man muss aber anerkennen, dass da keine riesigen Sprünge zu erwarten sind, und trotzdem hat unser Gastlandauftritt sehr viel Aufmerksamkeit in deutschen Feuilletons generiert.

Der Einsturz der Umsätze während der Coronakrisen fiel geringer aus als gedacht, und das trotz abgesagter Messen. Haben die großen Buchmessen ausgedient?

Es sind die Sparmeister vor allem großer Verlage, die versuchen, an der Todesschraube der Buchmessen zu drehen. Ich halte nichts davon, die Messen totzureden. Und auch die Programmmacher der großen Verlage pflichten mir bei. Natürlich sind die Messen nach Corona ökonomisch angekränkelt, aber es geht nicht nur um Ökonomie, sondern Wissens- und Erfahrungsaustausch, um Netzwerkausbau. Das hat dann auch ökonomische Folgen.

Das Programm ist sehr umfangreich und vielfältig, gibt es persönliche Highlights, auf die Sie sich besonders freuen?

Ich habe quasi jeden Beistrich im Programm gesetzt. Jeder Einzelne hat zu Recht das Gefühl, der Wichtigste zu sein. Ich habe mich um ein Programm bemüht, das dem Eigensinn der österreichischen Literatur gerecht wird, das politisch ist wie poetisch. Auf der Schaubühne Lindenfels, die für die drei Tage der Messe auch als Österreich-Zentrale fungieren wird, spiegelt sich das sehr gut wider. Dort wird es politisch, aber auch sehr schräg, poetisch und sozialkritisch zugehen, aber es wird auch eine große Show geben: Am Messesamstag wird unter dem Titel „Werdet Österreicher!“ eine Performance stattfinden, die das „Österreichische“ noch einmal kräftig dekonstruieren wird.

Drei Mal konnte die Messe nicht wie ursprünglich geplant stattfinden, und der Gastlandauftritt hat sich nach hinten verschoben. Ist die Spannung groß?

Es überwiegt die Freude. Außerdem hat die Verschiebung letztlich auch ihr Gutes: Veranstaltungen rund um „meaoiswiamia“ finden bereits seit einem Jahr statt, auch gibt es einen eigenen Podcast oder die ORF-Kooperation mit den „Archiven des Schreibens“. Dadurch ist das Echo umso größer ausgefallen und damit die Aufmerksamkeit für die österreichische Literaturproduktion.


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