Gastkommentar

Der Wunsch nach mehr Zeit statt Geld ist weit verbreitet

Warum es so wichtig wäre, Arbeitszeitverkürzung sozial und nachhaltig zu gestalten. Auch damit die sehr ungleiche Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen Männern und Frauen ein Ende hat.

In der aktuellen Diskussion um die Arbeitszeitverkürzung steht die Frage im Vordergrund, inwiefern diese in Zielkonflikt mit höheren Mindestlöhnen steht. Gerade die Teuerung macht den Erhalt der Kaufkraft für viele zur Priorität. Nur sind Kaufkraft und Freizeit kein Widerspruch. Historisch ging es nie um ein entweder oder, sondern um ein sowohl als auch.

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Der jährlich steigende Produktivitätszuwachs wurde sowohl in Einkommenserhöhungen als auch in Arbeitszeitverkürzungen weitergegeben. Dadurch wurde technischer Fortschritt zu sozialem Fortschritt. Arbeitszeitverkürzung war immer dann möglich, wenn Arbeitskräfte knapp waren. Nur dann haben Arbeitnehmer:innen die nötige Verhandlungsmacht, um strukturelle Verbesserungen durchzusetzen. Darum liegt die letzte gesetzliche Arbeitszeitverkürzung bald 50 Jahre zurück, ein Zeitraum, in dem sich die Produktivität zwar mehr als verdoppelt hat, Arbeitskraft aber nie knapp war. Jetzt verschieben sich die Gewichte seit Jahrzehnten erstmals wieder zugunsten der Arbeitnehmerschaft.

Frauen, die sich in „Freizeit“ um Kinder und Haushalt kümmern

In den vergangenen Jahrzehnten wuchs parallel zur Produktivität die Beschäftigung, allerdings ausschließlich im Bereich der (weiblichen) Teilzeit. 80% der Teilzeitbeschäftigung entfällt auf Frauen, 2/3 der Vollzeitjobs auf Männer. Weil sich die Frauen in ihrer „Freizeit“ um Kinder/Haushalt/Pflege kümmern, bedeutet diese geschlechtsspezifische Form der „Arbeitszeitverkürzung“ eine sehr ungleiche Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit. Österreich hat einerseits die dritthöchste Teilzeitquote in der EU, andererseits liegen die effektiven Arbeitszeiten der Vollzeitbeschäftigten im Spitzenfeld. Eine deutlich kürzere Normalarbeit könnte diese Polarität durchbrechen. Kurze Vollzeit ermöglicht eine gleichere Verteilung der unbezahlten Arbeit und mehr Zeitwohlstand. Die schrittweise Annäherung an die 32-Stundenwoche über ein Jahrzehnt wäre hier ein denkbarer Weg. Eine kollektivvertragliche Arbeitszeitverkürzung würde mit Lohnausgleich erfolgen. Darüber hinaus ist es aus ökologischen Gründen sinnvoll, auf kürzere Arbeitszeiten statt auf mehr Ressourcenverbrauch und CO2 -Emissionen zu setzen.

Wachstum kann nicht unendlich sein

Die ökologischen Folgen des gegenwärtigen Produktions- und Konsummodells werden nämlich auch in Österreich immer drastischer spürbar: Gletscher verschwinden, Seen trocknen aus, sinkende Wasserspiegel werden immer prekärer, Ernteverlusten durch zu frühe hohe Temperaturen gefolgt von Frost, Zunahme von Extremwetterereignissen: Die sich anbahnende Klimakatastrophe gefährdet unsere Lebensgrundlagen. Es ist völlig offensichtlich, dass der Planet überfordert wird. Während hochrelevante und CO2-neutrale Sektoren wie das Pflege- oder Gesundheitswesen wachsen müssen, weil hier Mangel herrscht, zeigen Statuskonsum, Wegwerfgesellschaft und Flächenfraß, dass extensives Wachstum nicht unendlich sein kann. Alle Fachleute betonen, dass Ressourcenverbrauch und Schadstoffemission in den reichen Staaten schrumpfen müssen. Die jährlich steigende Ressourceneffizienz reicht dazu nicht aus, denn bisher wurden Effizienzgewinne leider stets durch Mehrkonsum kompensiert (Rebound-Effekt). Effizientere Motoren führten nicht zum Rückgang des Treibstoffverbrauchs, sondern zur Anschaffung größerer und schwerer Autos. Bleibt man in dieser Logik, dann können technische Neuerungen allein keine Lösung bringen. Wachsender Wohlstand soll auf langlebigere Güter besserer Qualität aufbauen. Wenn das volkswirtschaftliche Konsumniveau künftig qualitativ statt quantitativ wachsen soll, muss sich auch die Produktion entsprechend anpassen. Und hier kommt die Arbeitszeitverkürzung ins Spiel: Wenn die Menschen nämlich volkswirtschaftlichen Produktivitätsfortschritte vermehrt in Form von mehr Freizeit konsumieren, liegt darin ein wichtiger Beitrag zu den Themen Ressourcenverbrauch und Schadstoffemission.

Natürlich werden alle in zehn Jahren leistungsfähigere Smartphones haben als heute – sprich die Qualität der Produkte wird zunehmen, solange es technischen Fortschritt gibt. Nicht die Anzahl der konsumierten Produkte muss wachsen, sondern die Lebensdauer der Produkte muss zunehmen und die Herstellung muss wesentlich nachhaltiger erfolgen. Mehr Zeit statt mehr Konsum kann für jene Leute, die mit ihrem Einkommen grosso modo zufrieden sind auch durch Wahlrechte für kürzere Arbeitszeiten umgesetzt werden. Die in gewissen Branchen etablierte kollektivvertraglich verankerte Freizeitoption, also die individuelle Eintauschbarkeit von Arbeitszeit gegen Lohnerhöhungen zeigt, dass der Wunsch für Zeit statt Geld weitverbreitert ist. Ob Zeit gerade wichtiger ist als Geld, ist eine persönliche Entscheidung, die in jeder Lebensphase anders aussehen mag. Es gibt Lebensphasen, in denen man für Erwerbsarbeit umfangreicher zur Verfügung stehen kann und andere, in denen man sich Kindern widmet oder Zeit für sich benötigt.

Darum soll es neben der generellen Arbeitszeitverkürzung auch individuelle lebensphasenorienterte Arbeitzeitgestaltungen geben. Eine Flexibilisierung der Lebensarbeitszeit die durch die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen gesteuert sind. Daher bedarf es Wahlmöglichkeiten in Form von Rechten, phasenweise die Arbeitszeiten zu reduzieren. Eine gesamtgesellschaftliche Reduktion der Arbeitszeit sowie eine individuelle Flexibilisierung der Lebensarbeitszeit sind ein Maßnahmenmix der nicht nur die persönliche Lebensqualität befördert, sondern auch die ökologische Nachhaltigkeit.

David Mum (*1972) ist Ökonom und Leiter der Grundlagenabteilung der Gewerkschaft GPA

Nikolaus Kowall (* 1982) ist Inhaber einer Stiftungsprofessur für Internationale Makroökonomie an der FH des BFI. Er hat sich Anfang April für den Parteivorsitz der SPÖ beworben und die Kandidatur zurückgezogen, als Andreas Babler seine Kandidatur bekannt gegeben hat.

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