Gastbeitrag

Lieber alt werden in Dänemark als in Österreich

Warum Dänemarks Pflegesystem so viel besser und günstiger als unseres ist.

Die Autorin

Ingrid Korosec (*1940) ist Präsidentin des Österreichischen Seniorenbunds. Sie war Volksanwältin und zehn Jahre Abgeordnete zum Nationalrat der ÖVP.

Jeg klarer mig godt, tak. – Den Satz „Ich komme gut zurecht, danke“ bekommt man in Dänemark von älteren Menschen mit Sicherheit öfter zu hören als in Österreich; und zwar auch von Hochbetagten oder sehr Betreuungsbedürftigen.

Dänen haben tatsächlich mehr Grund zur Zufriedenheit, was Pflege und Betreuung betrifft. Die Versorgung älterer Menschen funktioniert dort nämlich überall und zu geringen Kosten für die Betroffenen. Das sind schon einmal wesentliche Unterschiede zu Österreich, wo der Grad an und die Kosten für Pflegeleistungen vom Wohnort abhängen.

Ein weiterer: Dänen können weit öfter zu Hause leben als Betreuungsbedürftige bei uns. Ins Heim übersiedelt nur, wer hohem medizinischem Pflegebedarf hat. Daher leben nur vier Prozent in Heimen, bei uns sind es zwölf Prozent. Und die, die zu Hause leben, sind gut versorgt, ohne dass Angehörige in die Pflicht genommen werden.

Interessant ist der Kostenvergleich: Gesundheits- und Pflegeausgaben machten in Österreich im Jahr 2021 insgesamt 14,2%, in Dänemark 10,8% des BIPs aus – also besser und billiger. Dänemark schaffte in den 1980er-Jahren, als das Pflegesystem fast zusammenbrach, eine Kehrtwende. Die Politik organisierte das System völlig neu. Das Gesundheitsministerium gibt die Rahmenbedingungen verpflichtend vor. Verantwortlich für das Angebot sind die 98 Kommunen. Sie sind gesetzlich verpflichtet, alles zu tun, damit die Menschen möglichst lang selbstständig bleiben. Entsprechend viel Geld fließt in Prävention, Rehabilitation und Alltagsunterstützung. Diese Investitionen wirken sich direkt auf die Pflegebedürftigkeit aus: In Dänemark sind acht Prozent der über 65-Jährigen betreuungsbedürftig, in Österreich 22 Prozent.

Das gesamte System beruht auf dem Ansatz der Hilfe zur Selbsthilfe statt Unterstützung in der Unselbstständigkeit und unterscheidet sich damit fundamental von der österreichischen Praxis, Defizite zu verwalten. Aufgaben wie Medikamente einsortieren, sich anziehen, einkaufen, aufräumen oder kochen werden gemeinsam mit den Betroffenen – statt wie in Österreich für die Betroffenen – erledigt.

Sach- statt Geldleistungen

Die Dänen erhalten überwiegend Sach-, nicht Geldleistungen. Dänemark kennt keine Pflegestufen. Die Kommunen beurteilen den Betreuungsbedarf entsprechend der zentralstaatlichen Vorgaben. Häusliche Hilfe kann dauerhaft unentgeltlich bezogen werden. Nur bei speziellen Diensten, wie Schneeräumen oder Gartenarbeiten, fällt ein Selbstbehalt an. Fast alle Kommunen bieten Tageszentren, Aktivitätsprogramme für alle Altersgruppen, aber auch pflegerische Maßnahmen zur Unterstützung der häuslichen Versorgung.

Hilfe wird bereits sehr früh, noch ehe sich die Betreuungsbedürftigkeit manifestiert, geleistet. Bei frühen Unterstützungsleistungen wie Heimhilfe oder Essen auf Rädern liegt das Land im OECD-Vergleich stets im Spitzenfeld. In Dänemark werden mit 14,6% deutlich öfter Heimhilfen in Anspruch genommen als in Österreich. Dazu kommt eine hohe Bereitschaft, die Vorteile der Digitalisierung zu nutzen. Telemedizin und Telecare sind Standard, Medikamenten-Roboter ebenso. Das alles mit dem Ziel, die Lebensqualität zu steigern.

Ich sehe in dem dänischen System seit Langem einen Weg aus dem österreichischen Betreuungschaos: Finanzierung aus einer Hand, das Prinzip des One-Stop-Shop, Hilfe zur Selbsthilfe, hohe Professionalität und das Bekenntnis zur Digitalisierung sind die Voraussetzungen. Dafür braucht es politischen Mut, aber es funktioniert.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

>>> Mehr aus der Rubrik „Gastkommentare“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2023)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.