Gastkommentar

Künstliche Intelligenz: Dämon oder Engel?

(c) Peter Kufner
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Warum wir eine Entmystifizierung von Technologie und einen echten Realitätscheck von Chat GPT brauchen.

Der Autor

Michael Zettel (*1976) ist Country ManagingDirector des IT-Dienstleisters und Beraters Accenture in Österreich. Zuletzt erschien „Das digitale Wirtschaftswunder“ (Molden-Verlag).

Terminator“, „Matrix“, „Transformers“ – die Geschichte von Maschinen, die die Weltherrschaft an sich reißen, hat schon längst die Studios in Hollywood verlassen und beherrscht die Schlagzeilen. ChatGPT ist der neue Dämon, der durch die Medienwelt geistert. Eindringliche Warnungen werden von diversen Meinungsbildnern ausgesprochen, Sorgen werden formuliert, und ein trostloses Bild der Zukunft wird gezeichnet.

Als studierter Wirtschaftsinformatiker, der in seinem Brotberuf die digitale Transformation von Unternehmen und Organisationen vorantreibt, hinterfrage ich solche Expertenmeinungen gern. Ich verfasse auch keine Kritik zur jüngsten Staatsopernpremiere.

Die Chat-GPT-Panikmacher und Künstliche-Intelligenz-Kassandras kommen selten aus der Technologiebranche. Es werden falsche Informationen von Nichtexperten in Umlauf gebracht, die die weitverbreitete Angst der Österreicher vor Technologie befeuern. Ich empfehle jedem, seinen eigenen Namen in den Chatbot einzugeben und das Ergebnis zu lesen. So sieht man sehr schnell, was Chat GPT nicht kann. Das System ist vielleicht „angestrebert“, denn es hat ein weit größeres Wissen als jeder Einzelne von uns; es weiß, wie man Sätze formuliert – Subjekt, Prädikat, Objekt –, und es textet das Wahrscheinliche. Aber Chat GPT ist weit weg von jedem Menschen, der gute Texte schreibt. Denn Texte schreiben ist nicht nur die Fertigkeit des Textens und das Wiedergeben von Wissen. Der oder die VerfasserIn hat Erfahrungen, Emotionen, Erinnerungen und Assoziationen – all das hat Chat GPT nicht. Warum? Weil künstliche Intelligenz keinen Kontext versteht.

Verbote sind nicht die Lösung

Künstliche Intelligenz ist wie Mathematik vor 70 Jahren. Es ist Klassifikation und Prognose – nichts anderes. So groß die Datenmengen sind, die KI verarbeiten kann, so beschränkt sind sie. Bestes Beispiel ist das autonome Fahren. Wir sind viele Jahre vom autonomen Fahren entfernt, weil es eben beschränkte Datenmengen und -räume sind. KI unterscheidet nicht die Sonne von der Reflexion der Sonne oder einer anderen Lichtquelle. Daraus kann nicht die befürchtete Disruption entstehen.

Eine klassische österreichische, oder europäische, Reaktion ist die Forderung nach einem Verbot. „Wir müssen den Konsumenten schützen“, heißt es. Verbieten und einschränken ist aber die falsche Taktik. Aufklärung und die Aufforderung zu Eigenverantwortung wären besser. Nur so kann man die Vorteile nutzen – und die gibt es: Chat GPT kann mir nicht nur Ideen geben, was ich zur Geburtstagsparty meiner zehnjährigen Nichte mitbringe, es kann sehr vernünftige und valide Erstaufschläge entwickeln: ein Proposal, eine Presseaussendung, einen Behördenbrief, . . . Damit lässt sich gut arbeiten. Das steigert die Effizienz, aber die Verantwortung für den Text, die bleibt sowieso beim Menschen, bei der Behörde, beim Medium.

Wir fürchten uns viel zu viel. Furcht war noch nie ein guter Ratgeber. Wir sollten unvoreingenommen, neugierig und mutig auf Chat GPT, auf KI und neue Technologien zugehen. Wir müssen die Chancen, die unendlichen Möglichkeiten sehen – und erkennen, dass Technologie viel mehr Engel als Dämon ist.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2023)

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