Gastbeitrag

Der fehlgeleitete Solidaritätskorridor

Replik auf Grimm/Böhm. Über die Notwendigkeit der Aussetzung der EU-Getreide-Handelspolitik mit der Ukraine.

Der Autor

Dipl.-Ing. Maximilian Hardegg (*1966) ist Landwirt und betreibt in Niederösterreich auf Gut Hardegg mit 40 Mitarbeitern Landwirtschaft auf rund 2200 Hektar.

Die Ukraine ist ein Land, das reich an agrarischen Ressourcen ist, sie verfügt über die viel gerühmte Schwarzerde und 42Millionen Hektar Ackerland. Dies entspricht dem 30-Fachen der österreichischen Ackerfläche und einem Viertel der gesamten EU-Ackerfläche. Die Ukraine ist im Weltagrarhandel ein Schwergewicht, neben Russland einer der größten Weizenexporteure und bei Ölsaaten (Sonnenblumen) sogar Weltmarktführer. Vor dem 24. Februar 2022 verschiffte die Ukraine bzw. die einschlägigen US-Händler wie Cargill ukrainisches Getreide in erster Linie nach Nordafrika, Indonesien und die Türkei. Europa spielte als Handelsdestination keine Rolle, kein Wunder, ist doch die EU selbst der weltgrößte Weizenerzeuger.

Nachvollziehbar ist, dass bei Kriegsbeginn, von der UNO angefangen, intensiv nach Lösungen gesucht wurde, um den Warenfluss von der Ukraine hin zu jenen Regionen sicherzustellen, wo Hungersnot besteht.

Nicht nachvollziehbar hingegen ist, dass die EU einen zoll- und quotenfreien Handel mit der Ukraine für Agrarprodukte vereinbart hat. Diesen machen sich nun die großen Handelshäuser zunutze und bringen riesige Warenmengen, in Summe bereits über 22 Millionen Tonnen nach Europa. Die Ware landet in Spanien, Italien, Holland und auch in Österreich in den Donauhäfen und fließt in die heimische Verarbeitung, vornehmlich Industrie, aber auch in Backstuben und Futtertröge. Für die wirklich armen Länder in Not wie der Jemen, Afghanistan, Sri Lanka oder der Sudan blieben schlanke zwei Millionen Tonnen ukrainisches Getreide übrig.

Für Länder, die auf ukrainisches Getreide warten, ist das schlicht eine Katastrophe, sie werden vor allem in die Arme Russlands getrieben. Das reiche Europa aber kauft den Armen das Getreide vor der Nase weg!

Für europäische Landwirte ist der ungeregelte Solidaritätskorridor ebenfalls ein Tiefschlag; seit Sommer 2022 sind die Getreidepreise durch die Ukraine-Importe wieder im Sinkflug und haben das Vorkriegsniveau erreicht, obwohl die Erzeugungskosten spürbar hoch bleiben. Im Ergebnis bedeutet dies, dass äußerst schwierige Zeiten auf die Erzeuger warten, der ukrainischen Billigkonkurrenz kann nichts entgegengesetzt werden.

Die EU hat leider wieder einen sehr unbedachten Schritt gesetzt, der Handelskommissar dürfte weder eine Folgenabschätzung noch ein Monitoring des Solidaritätskorridors angestellt haben und sich auch nicht mit der Landwirtschaft verständigt haben.

 

Selbstversorgung stärken

Was jetzt notwendig ist, ist eine sofortige Schließung der ukrainischen EU-Importe und eine Sicherstellung, dass das Getreide wirklich in die Armenregionen fließt. Und es braucht eine Klarstellung, dass europäische Erzeugungsstandards nicht mit jenen der Ukraine vergleichbar sind – ökologisch, sozial und leider auch ordnungspolitisch – und es daher zu groben Wettbewerbsverzerrungen kommen muss, die europäischen Landwirten schaden werden. Je stärker die europäische Landwirtschaft zurückgedrängt wird, umso stärker wird die Abhängigkeit von ausländischen Importen. Diesen Fehler haben wir mit der Energieabhängigkeit schon gemacht und sollten ihn daher nicht mit Grundnahrungsmitteln wiederholen.

Österreich war nach dem Ende der Monarchie ein armes, hungerndes Land. Unsere Vorväter haben mit großer Mühe die Selbstversorgung sichergestellt. Diese sollten wir jetzt nicht aufs Spiel setzen. Und gleichzeitig mithelfen, dass ukrainisches Getreide dorthin kommt, wo es benötigt wird.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

>>> Mehr aus der Rubrik „Gastkommentare“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2023)


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.