Wirbel um Entlassungen psychisch kranker Straftäter

Justizministerin Alma Zadic forcierte die Reform des Maßnahmenvollzugs.
Justizministerin Alma Zadic forcierte die Reform des Maßnahmenvollzugs. Tobias Steinmaurer / picturedesk
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Wegen der Neuregelung des Maßnahmenvollzugs kommen ab September Dutzende ebendort untergebrachte Insassen frei.

Er galt jahrzehntelang als eine der großen Baustellen der Justiz, der sogenannte Maßnahmenvollzug. Darunter versteht man die Unterbringung psychisch kranker Täter in geschlossenen forensisch-therapeutischen Zentren. Anfang März trat endlich eine Reform in Kraft. Doch deren praktische Auswirkung gibt nun Anlass zur Sorge.

Gemeint ist der Umstand, dass aufgrund der Neuregelung vor allem Jugendliche (14- bis 17-Jährige) und auch sogenannte junge Erwachsene (18 bis 20-Jährige) generell nur noch bei sehr schwerer Kriminalität in solchen Zentren landen können. Dazu heißt es im Gesetz: „Anlass einer strafrechtlichen Unterbringung (...) kann nur eine Tat sein, für die nach den allgemeinen Strafgesetzen lebenslange Freiheitsstrafe oder eine Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens zehn Jahren angedroht ist.“

Demnach sind die Kriterien einer Unterbringung für etliche junge Täter weggefallen. Ebendiese müssen ab 1. September entlassen werden. Letztlich dürften es bundesweit um die 50 Insassen derartiger Zentren werden. Experten fürchten, dass man darauf nicht ausreichend vorbereitet sei und dass von diesen Personen möglicherweise Gefahr ausgehe.

„Ich sehe da große Probleme auf uns zukommen“, zitierte das ORF Radio am Mittwoch die Wiener Strafrechtsprofessorin Katharina Beclin. „Personen, die bisher in einem geschlossenen System waren, wo ihnen komplett alles abgenommen wurde, werden von einem Tag auf den anderen auf die Straße gesetzt.“ Es sei nicht gewährleistet, dass die bei Einweisung Gefährlichen und bei Entlassung womöglich nicht Geheilten ihre Medikamente nehmen.

Zu beachten ist auch, dass an die obligaten Entlassungen wegen minder- bis mittelschwerer Delikte keine Bedingungen, etwa Weisungen, eine Therapie fortzusetzen, geknüpft werden können. Da es sich eben um Untergebrachte handelt, bei denen die Einweisungs-Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. Zu entlassen sind im Prinzip auch all jene, die zum Tatzeitpunkt Jugendliche oder junge Erwachsene waren. Das wiederum heißt, dass es sich um Personen handeln kann, die vielleicht schon Jahre im Maßnahmenvollzug sind und an ein selbstständiges Leben nicht gewöhnt sind.

Justizministerin Alma Zadić ließ auf „Presse“-Anfrage via Pressesprecherin mitteilen: Die Reform selbst habe den Sinn, den Maßnahmenvollzug „menschenrechtskonformer“ auszugestalten. Dies diene prinzipiell auch der Sicherheit der Bevölkerung. Weiter: „Dabei werden erstmals eigene Regelungen für Jugendliche geschaffen, die bisher rechtlich wie Erwachsene behandelt wurden und so für ihr gesamtes Leben im Maßnahmenvollzug untergebracht werden konnten.“

Neun Personen im ersten Schritt

Zum konkreten Problem hieß es: „Durch die Reform sollen nun mit Stichtag 1. September bestimmte Personen, die zum Zeitpunkt ihrer Unterbringung Jugendliche oder junge Erwachsene waren, aus dem Maßnahmenvollzug entlassen werden.“ Das betreffe im ersten Schritt bundesweit neun Personen.

Darüber hinaus sei „im weiteren Verlauf mit insgesamt in etwa 50 Personen zu rechnen“, die entlassen werden können, da sie als Jugendliche untergebracht wurden. Dem würden aber Einzelfallprüfungen durch das Gericht vorangehen.

Es gelte: „Um eine bestmögliche gesundheitliche Versorgung der Betroffenen auch nach ihrer Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug zu gewährleisten“, sei das Ministerium in Kontakt mit den entsprechenden Gesundheits- und Sozialeinrichtungen, Bundesländern, Anwälten sowie den Familien der Betroffenen.

Auch Sozialtrainings, Bewährungshilfe oder etwa begleitete Ausgänge würden nun durchgeführt. Sollte dennoch von den Betroffenen nach ihrer Entlassung eine Selbst- oder Fremdgefährdung ausgehen, sei immer noch eine Einweisung in eine psychiatrische Klinik nach dem Unterbringungsgesetz möglich.

Wiens Gesundheitsstadtrat Hacker warnt

Indes meinte Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) im ORF Radio: Es fehle an der Kommunikation mit dem Gesundheits- und dem Justizministerium. Und es gebe „null Vorbereitung“. Er erinnerte daran, dass psychiatrische Abteilungen, insbesondere die Kinderpsychiatrie, in ganz Österreich ohnehin seit Längerem unter Druck stünden. Nun könne es nicht angehen, dass sich Bund einfach aus seiner Verantwortung stehle.

Auch die Volksanwaltschaft meldete sich zu Wort: Sie wolle „genau beobachten“, in welcher Form die entlassenen Personen weiterbetreut werden, kündigte Volksanwalt Bernhard Achitz (SPÖ) bei einer Pressekonferenz am Mittwoch an.


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