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Tyron Ricketts: "Einen schwarzen Mann wollte niemand sehen"

Ava Pivot
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In „Sam, ein Sachse“ erzählt Disney+ vom ersten schwarzen Polizisten Ostdeutschlands. Hinter der Serie steht nicht zuletzt ein gebürtiger Weizer. Tyron Ricketts über den echten Samuel Meffire - und wie ihn die Arbeit für Harry Belafonte zu dem Projekt inspiriert hat.

Nun hat auch Disney den deutschsprachigen Raum entdeckt. „Sam, ein Sachse“ heißt die Serie, die auf wahren, durchaus dramatischen Ereignissen beruht.

Sie erzählt von Samuel Meffire, dem ersten schwarzen Polizisten in Ostdeutschland, der im Zuge der Wiedervereinigung zum Symbol von Vielfalt avanciert, was ihm letztlich zum Verhängnis wird. Als Autor, Produzent und Schauspieler federführend beteiligt ist ein gebürtiger Steirer: Tyron Ricketts wurde in Weiz geboren, lebt heute in Berlin und kennt den echten Samuel Meffire seit mehr als 20 Jahren.

Ricketts war damals Rapper, war Teil einer afrodeutschen Rap-Combo namens Brothers Keepers. „Wir haben damals einen Song gemacht, der hieß ,Adriano (Letzte Warnung)‘ und war recht politisch“, erzählt er. „Wir haben eine Schultour durch Ostdeutschland geplant, weil wir den Kids Mut zusprechen wollten. Aber kurz bevor wir auf diese Tour gegangen sind, haben wir Morddrohungen von Nazis bekommen und brauchten Securitys. Und Samuel Meffire und seine Crew waren damals unser Begleitschutz.“

Schon damals, 2001, habe Samuel Meffire ihm seine Geschichte erzählt. „Ich fand sie damals schon so faszinierend, dass ich mir sicher war, wir müssen das irgendwie schaffen, die auf die Leinwand zu bringen. Aber das war zu dem Zeitpunkt noch schwierig.“ 2006 stieß Ricketts als Schauspieler zur Soko Leipzig, lernte deren Produzenten Jörg Winger kennen (dieser produzierte mit seiner Frau, Anna, seither etwa die Serie „Deutschland '83“, Anna Winger auch „Transatlanctic“ und „Unorthodox“). „Wir haben damals schon versucht, die Geschichte von Samuel als Kinofilm zu erzählen“, erzählt Ricketts. „Aber der Markt war noch nicht so weit. Es hieß dann von allen möglichen Playern: ,Ja eine spannende Geschichte, aber einen schwarzen Mann in der Hauptrolle, das will ja keiner sehen.‘“

Klischeebehaftete Rollen

Seinen eigenen Weg hatte Ricketts, der mit seiner Mutter als Sechsjähriger nach Deutschland gezogen war, als Rapper begonnen. Daneben studierte er Design, moderierte zu den Hochzeiten des Musikfernsehens eine Rap-Sendung auf Viva, begann mit der Schauspielerei. Oft, erzählt er, sei er frustriert ob der klischeebehafteten Rollenangebote gewesen. „Ich musste oft den ,anderen‘ spielen. Ich war ganz selten valider Teil dieser Gesellschaft. Obwohl ich hier groß geworden bin, hier Abitur gemacht und studiert habe, war ich meistens der Geflüchtete oder der Ami oder der Engländer oder der amerikanische Taxifahrer.“

Dass er heute selbst Film- und Serienstoffe mit den Perspektiven von „People of Color“ entwickelt, habe nicht zuletzt mit dem eben verstorbenen Harry Belafonte zu tun. Dieser hatte von Brothers Keepers gehört, und es habe, glaubt Ricketts, Belafonte wohl daran erinnert, „wie er selbst Kunst und Musik genutzt hat, um gesellschaftlichen Wandel voranzutreiben.“ Als Belafonte nach Deutschland kam, um seinem Freund Joachim Fuchsberger die Goldene Kamera zu verleihen, war man zwei, drei Tage gemeinsam in Berlin unterwegs. „Und dann haben er und seine Tochter Gina irgendwann die Einladung ausgesprochen, wenn ich mir das Business einmal in Amerika angucken wollen würde, würden sie mir dabei helfen. Der Mann ist eine Legende. Der ist mit Martin Luther King marschiert, da sagt man nicht Nein, wenn der einlädt.“ So verbrachte Ricketts fünf Jahre in den USA, arbeitete dort u. a. für Belafonte, lernte viel von ihm.

2018 kam Ricketts mit so viel Mut, Kraft und Inspiration zurück, dass er seine Produktionsfirma Panthertainment neu eröffnete und beschloss: „Hey, man muss vielleicht auch der Wandel sein, den man sehen möchte.“ Etwa mit „Sam, ein Sachse“: 22 Jahre nach der ersten Idee zeigt Disney+ den Stoff nun als seine erste deutschsprachige Serie.

Die deutsche Wende aus neuer Perspektive

Er finde es spannend, sagt Ricketts, „eine deutsch-deutsche Geschichte, die in einem dramatischen und wichtigen Zeitrahmen Deutschlands stattfindet, aus der Perspektive eines schwarzen Mannes zu erzählen. Wir sind es ja gewohnt, in Deutschland und in Österreich leider auch, alles aus der Perspektive des weißen Mannes und manchmal der weißen Frau zu erzählen.“ Als Beispiel nennt Ricketts gern Kolumbus. „Wir haben alle in der Schule gelernt, dass Kolumbus Amerika entdeckt hat. Wie kann man einen Kontinent entdecken, wo vorher schon Menschen gelebt haben?“

An seine Kindheit in Österreich hat Ricketts im Übrigen gute Erinnerungen. „In Weiz war es nicht problematisch, weil mein Vater, glaub ich, der erste schwarze Mensch war, der dort je gelebt hat, und ich war das erste schwarze Kind, das da zur Welt gekommen ist. Wir hatten eher einen Exotenstatus, sind aber nicht als Bedrohung wahrgenommen worden.“ Später habe natürlich auch er diesbezüglich andere Erfahrungen gemacht. Dabei sei Diversität ja schon lang Realität. Was fehle, sei die Inklusion: „Es muss eine Erzählung der Gesellschaft geben, in der alle Menschen, die Teil dieser Gesellschaft sind, auch Teil dieser Erzählung sind.“

Zur Person

Tyron Ricketts wurde 1973 als Sohn eines Jamaikaners und einer Österreicherin in Weiz geboren. Als er sechs war, zog seine Mutter mit ihm nach Aachen, heute lebt er in Berlin. Ricketts begann seine Karriere als Rapper, moderierte das Hip-Hop-Magazin „Word Cup“ auf Viva. Als Schauspieler spielte er u. a. in „Kanak Attack“, „Russendisko“ oder „Soko Leipzig“. Die siebenteilige Serie „Sam, ein Sachse“ läuft seit 26. April auf Disney+. Ricketts fungiert als Autor und Produzent und spielt Samuel Meffires Mentor, den Türsteher Alex.

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