Gastkommentar

Private Medien müssen Platz zur Entfaltung haben

(c) Peter Kufner
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ORF. Eine zu große Konzentration von Medienmacht im ORF ist demokratiepolitisch ein Risiko. Und für Privatmedien existenzgefährdend.

Eines vorweg: Es ist wichtig, dass es einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt, der das leistet, was Private – ob gewinnorientiert oder non-profit – auch aufgrund der Marktgröße nicht leisten können oder wollen. Der öffentliche Rundfunk kann für kleinere Länder wichtig sein, um die eigene Kultur zu wahren und die Herstellung eigenständiger audiovisueller Produktionen sicherzustellen. Das gilt für Filme und Serien ebenso wie für die Berichterstattung über Kultur und Randsportarten, die der freie Markt nicht ausreichend refinanzieren kann. Oper und Theater, zum Beispiel, könnten auf dem Markt, ohne öffentliche Mittel, nur über so hohe Ticketpreise finanziert werden, dass es den größten Teil der Bevölkerung ausschließen würde. (Das stimmt zwar auch für die horrenden Ticketpreise bei Konzerten von Taylor Swift oder Ed Sheeran, aber diese brauchen wohl in keiner Definition von Kulturpolitik eine Förderung.)

Was für Kultur und Randsportarten stimmt, trifft auf Nachrichten und die politische Berichterstattung genauso zu: Eine Abbildung der Vielfalt und der verschiedenen Denkrichtungen ist nicht nur demokratiepolitisch wichtig, sondern auch allgemein bereichernd. Man muss aber unterscheiden zwischen Nachrichten und weitergehender Berichterstattung. Nachrichten sind „Gebrauchsgüter“. Natürlich kann man durch Formulierungen und Auswahl von Meldungen einen gewissen Drall erzeugen, aber im Wesentlichen ist die Nachricht, dass Joe Biden erneut für das US-Präsidentenamt kandidiert, billig und einfach zu haben. Die Meldungen werden durch Nachrichtenagenturen wie die APA geliefert, und es ist wenig wichtig, ob Nutzer sie auf ORF.at oder diepresse.com lesen.

Das Spannende ist ja nicht die Nachricht an sich, sondern deren Einordnung, die Analyse und der Kommentar. Im Widerstreit verschiedener Bewertungen und Interpretationen können Staatsbürgerinnen die Welt besser verstehen und sich Meinungen bilden.

Die Vielfalt kann man auf zwei Arten darstellen: durch Binnenvielfalt in einem dominanten öffentlich-rechtlichen Konzern, oder durch die Vielfalt vieler Medien, die verschiedene Meinungen und Standpunkte vertreten.

Ersteres ist eine Gefahr für die Demokratie. Binnenvielfalt ist immer in Gefahr in großen, hierarchisch gegliederten Unternehmen. Menschen arbeiten darin, die von anderen dort arbeitenden Menschen – oder von politisch bestellten Gremien – Gehaltserhöhungen, Beförderungen und Anerkennung haben wollen. Trotzdem scheint das Dogma links der Mitte zu sein, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht groß genug sein kann. Das ist kurzsichtig, vor allem in einer Zeit, in der eine Kanzlerschaft von Herbert Kickl denkbar geworden ist. Politischer Einfluss untergräbt schon immer latent den Anspruch des ORF auf Ausgewogenheit.

Das wird nicht besser werden. Wir kennen das Playbook von Autoritären in Ländern wie Polen, Ungarn oder Serbien: Das Gefügig-Machen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks steht ganz oben auf der Prioritätenliste. Eine zu große Konzentration von Medienmacht im ORF ist demokratiepolitisch daher ein Risiko.

Dem ORF Grenzen setzen

Vielfalt der Medien ist die bessere, die demokratischere und die sicherere Strategie als bloße Binnenvielfalt im ORF. Man muss aber mit Inhalten Gewinne machen, um langfristig zu überleben; ansonsten ist man von staatlichen oder privaten Subventionierern abhängig. Entscheidend wäre also, tragfähige Geschäftsmodelle zu entwickeln, und dafür dem ORF Grenzen zu stecken.

Dazu braucht es einen gesetzgeberischen Ansatz von „Leben und leben lassen“. In Deutschland hat man das Problem erkannt: Private müssen Platz zur Entfaltung haben. Werbung ist dem ARD und ZDF zum Beispiel nur im Ausmaß von 20 Minuten pro Tag erlaubt, und das nur vor 20 Uhr. Das Resultat: Weniger als zehn Prozent des Umsatzes stammen aus der Werbung. In den meisten skandinavischen Ländern und bei der BBC ist der Anteil der Werbeeinnahmen null Prozent. Im Bereich des Audiovisuellen bewirkt eine Werbe-Beschränkung des ORF, dass für die Privaten mehr Werbekuchen bleibt und sie leichter überleben und den Strukturwandel schaffen können.

Bei textlastigen Angeboten, also dem, was heute Zeitungshäuser anbieten, ist das Problem anders gelagert. Der Branchenstandard ist das Freemium-Modell, in dem es einige Inhalte gratis gibt („free“) und andere Beiträge nur freigeschaltet sind, wenn man zahlender Kunde ist („premium“). Dazu bedarf es genügend Menschen, die regelmäßig auf eine Webseite oder App kommen oder „Traffic“ erzeugen, von denen dann ein Prozentsatz zu zahlenden Kunden konvertiert wird. Zeitungshäuser in England, „JP/Politiken“ in Dänemark, „Dagens Nyheter“ in Schweden oder die „NZZ“ in der Schweiz haben mit diesem Modell den Strukturwandel in die digitale Bezahlwelt geschafft. Die „NZZ“ hat seit 2015 kontinuierlich solide Ergebnisse, 2022 war sogar ein Rekordjahr. „JP/Politiken“, „DPG“ und „Mediahuis“ erzielen konstant Profitmargen von zehn bis zwanzig Prozent und zweistelliges Wachstum.

Zum Leben-Lassen gehört auch, dass der ORF (wie nun in der Novelle zum ORF-Gesetz festgeschrieben) sein Text-Angebot online limitiert, damit genug Traffic auf das „Free“-Angebot, den Gratisteil, der privaten Medien kommt, den sie dann in Abonnements konvertieren. Auf ORF.at verpufft dieser Traffic; für Bezahl-Medien ist er der Rohstoff, ohne den keine „Premium“-Verkäufe stattfinden.

DER AUTOR:

Veit Dengler (* 1968) ist Unternehmer und Mitgründer der Neos. Er war von 2013 bis 2017 CEO der „NZZ“-Mediengruppe. Von April 2018 bis Ende 2021 war Dengler Mitglied der Konzerngeschäftsleitung der deutschen Bauer Media Group.

Die nächste Herausforderung kommt bereits auf alle Medienhäuser zu: Die Gen Z sucht sich ihre Nachrichten und Unterhaltung auf YouTube Shorts, TikTok und anderen Plattformen. Die existierenden Medienhäuser haben dafür kein audiovisuelles Angebot, praktisch alle, inklusive ORF, sind dort eher irrelevant. Allen gemein ist, dass es auf diesen Plattformen kein Geschäftsmodell gibt; da wird viel experimentiert werden müssen. Dass der ORF direkt für soziale Medien produzieren kann, ist daher richtig.

Was ist der Auftrag des ORF?

Für private Medien ist Konkurrenz durch den ORF, die über einen klar definierten Auftrag hinausgeht, potenziell existenzgefährdend. Das ganz besonders in einer Zeit, in der sie den durch staatliche Korruption aufgeschobenen Strukturwandel in rasantem Tempo nachholen müssen: Die obszön hohen öffentlichen „Werbeausgaben“ sind institutionalisierte Korruption, die viel vom Druck genommen hat, Innovation voranzutreiben und digitale Bezahlmodelle aufzubauen.

Für die Aufholjagd fehlt mangels solider Medienpolitik eine Rahmenbedingung: Was genau ist der Auftrag des ORF? Ohne eine breite gesellschaftliche Einigung darüber ist es nicht zielführend, ein ORF-Gesetz zu beschließen. Eine Haushaltsabgabe kann grundsätzlich eine verfassungsrechtlich vernünftige Methode sein, die Finanzierung des ORF sicherzustellen. Viele europäische Demokratien sind denselben Weg gegangen. Aber sie muss – mit Werbebegrenzungen und Angebotsbegrenzungen – durch ein faires Spielfeld für alle ergänzt werden.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2023)

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