Culture Clash

Gott, König und Geschäft

Die Krönung in der Westminster Abbey ist ein Akt von hoher Symbolkraft, in der ein marginalisierter Gott einen machtlosen Herrscher in Dienst nimmt.

Die bevorstehende Krönung in England ist für einen Christen eine zwiespältige Sache. Bemerkenswert ist die religiöse Natur der Sache, vollzogen in einer Kirche durch einen Erzbischof. Der essenzielle Moment ist dabei nicht das Aufsetzen der Krone, sondern die Salbung: Sie markiert, dass Gott den Monarchen in Dienst nimmt und ihm damit erst Legitimation und Autorität gibt. Eine so innerliche Zeremonie, dass ein Wandschirm den König dem Blick der Menge entzieht. Nirgendwo sonst in Europa werden Könige heute noch gesalbt.

England wirkt damit allerdings viel christlicher, als es ist. Die Briten sind heute mehrheitlich religionslos. Die anglikanische Staatskirche, der kaum noch mehr als zehn Prozent der Bevölkerung angehören, hat so wenig Prägekraft, dass es niemanden sonderlich erstaunt, wenn der Regierung des Königreichs ein Hindu vorsteht und jener Schottlands ein Moslem – Vertreter noch kleinerer Minderheiten. Und Charles selber hat schon vor 30 Jahren den Titel „Defensor fidei“ (von seinen Vorfahren geführt seit 1521) zum „Verteidiger jeglichen Glaubens“ umgedeutet.

Im Kontrast von Symbolik und Realität wird etwas deutlich, was weitgehend schon im 19. Jahrhundert stattgefunden hat: der parallele Bedeutungsverlust Gottes und der Autorität des Monarchen. Das Ende einer Entwicklung, die vor mehr als 1500 Jahren begonnen hat, als sich das Taufen von Königen als die raschere Variante der Mission herausgestellt hat als die echte Bekehrung der Menschen. Weshalb es dann mehr die Autorität der Monarchen und weniger die Liebe des Volks zu Christus war, die über viele Jahrhunderte im Abendland die christlichen Normen in Gesetz, Moral und Brauch garantiert hat. Diese Autorität ist überall in Europa zusammengebrochen, und dass die europäische Christenheit abnimmt, hat viel mehr damit zu tun als mit Skandalen oder unzeitgemäßen Lehren.

Die normative Kraft der Herrschenden gibt es weiterhin. Nur herrscht kein König mehr, sondern ein diffuser Volkswille. Es ist durchaus möglich, sich mit ihm zu arrangieren – das zeigt das englische Königshaus vor: Man muss nur nett sein und Nettigkeit propagieren, einen kulturellen Identitätsanker darstellen, erhabenes Gefühl hervorrufen, historische Gebäude erhalten, Touristen anlocken und sich sonst still verhalten. Auch die Kirchen Europas sind versucht, solcherart im neuen Volkssouverän einen neuen Schutzherren zu finden. So etwas verändert freilich den Charakter. Nicht ohne Grund nennen die Windsors seit George VI. ihr Königshaus „the firm“, das Geschäft.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

www.diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2023)

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