Leipziger Buchmesse

A bisserl Anarchie in Leipzig

Der Andrang ist groß auf der Buchmesse, trotz oder gerade wegen der dreijährigen Pause. Die Leipziger sind erleichtert.
Der Andrang ist groß auf der Buchmesse, trotz oder gerade wegen der dreijährigen Pause. Die Leipziger sind erleichtert. IMAGO/epd
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Österreich präsentiert sich als Gastland auf der Leipziger Buchmesse. Wie kommen wir an? Mit welchen Klischees sind wir konfrontiert und welche bedienen wir? Ein Rundgang.

Der Österreich-Pavillon auf der Leipziger Buchmesse ist ja alles andere als farbenfroh. Es dominiert grau (wie die Felsen), braun (wie die Bäume), weiß (wie der Schnee). Dazu natürliche Materialien, oder zumindest solche, die natürliche Materialien nachahmen. Holzfurnier. Filz. Stoff. Das Ganze soll an eine Bergwanderung erinnern. Und dann, mittendrin, hängt da ein rotblauer Metallkasten an der Wand – darauf abgebildet sind drei küssende Pärchen. Es ist ein Kondomautomat. Nein, doch nicht, es ist ein Gedichteautomat und man kann dort nicht zwischen „extradünn“ und „feeling“ wählen, sondern zwischen „erotisch“, „romantisch“ und „anziehend“.

Die Deutschen finden das klasse. Nämlich dass die Österreicher nicht so der „Disziplin“ verhaftet seien. „Immer irgendwie anarchisch“, sagt eine Frau, die prompt 50 Cent einwirft und mich, die keine Münzen mit sich führt, mitlesen lässt: „Deine Lippen erwartend die süsse / Darin ich ein teil ein gran.“ Ferdinand Schmatz also. Es gibt auch Gedichte von Elfriede Jelinek, Maja Haderlap, Fiston Mwanza Mujila u. a. Es wäre interessant zu wissen, was zusammenkommt im Laufe der Tage, konkret bis Sonntagabend, dann endet die viertägige Buchmesse, bei der Österreich sich als Gastland präsentiert.

Man kann sagen: Es war ein Erfolg. Und zwar vom Fleck weg, dem Abend der Eröffnung: Bevor der Leipziger Buchpreis für Europäische Verständigung an die russische Lyrikerin Maria Stepanova vergeben wurde, hielt Bundespräsident Van der Bellen eine Rede, und das Publikum war hingerissen: Er plauderte, scherzte, gab eine Einführung ins Kaunertalerische. Die österreichische Vielfalt der Dialekte hätte durchaus politische Implikationen: „Daham statt Islam“ – der Slogan der FPÖ hätte im Kaunertal wohl kaum gezogen. „Dahuam statt Isluam?“ Großes Gelächter im Saal. Die „tageszeitung“ schrieb am nächsten Tag von einer Rede, die aus dem Rahmen gefallen sei. Und ein Polizist, am nächsten Tag darauf angesprochen, warum denn die Straßen abgesperrt seien, meinte: „Für den österreichischen Bundespräsidenten. Der ist toll. Besser als unserer.“

Der Steffl und die Donau. Doris Plöschberger, Lektorin und Programmleiterin für deutschsprachige Literatur im Suhrkamp-Verlag, sieht den Auftritt zwiespältig. Sie schätzt die „Freiheit, die er sich nahm“. Die Lockerheit. „Aber wir wissen, wie hartnäckig Klischees sind und diese Rede hat das Stereotyp des nerdigen Bergvolks im Süden, das einen seltsamen Dialekt spricht, zumindest nicht unterlaufen.“

Es ist eine Frage, die sich oft stellt in Leipzig. Sind wir so? Der Dialekt war wirklich überall: im Motto „mea ois wia mia“, in der Rede des Bundespräsidenten, in der Performance zur Pressekonferenz, im Auftritt von Attwenger bei der Eröffnung des Standes. So wichtig ist er doch sonst nicht . . . Und wenn man sich den Österreich-Stand ansieht, den Marko Lipuš mit großen Bannern versehen hat, die den Steffl, Felder, Berge, die Donau zeigten: Was sagt es über uns, dass wir uns auf so vielen Ebenen mit dem Österreich-Klischee auseinandersetzen? Dass wir, kritisch oder nicht, schwer davon lassen können? Nein, wir sind wirklich nicht unbeteiligt daran, dass uns Deutsche mit den Adjektiven „charmant“ (ein Bremer Buchhändler), „schräg“, (eine Besucherin der Messe), „witzig“ (ein Mann aus Dessau in der Straßenbahn) oder „anarchisch“ bedenken.

Und die Literatur? Viele österreichische Namen fallen, wenn man sich durch Leipzig und auf der Buchmesse bewegt. Der Bremer Buchhändler ist begeistert von Clemens J. Setz. Eine Gruppe im Frühstücksraum des Hotels plaudert über Raphaela Edelbauer, Tonio Schachinger und „die Sargnagel“. „Du meinst der Sargnagel!“ – „Nein, die heißt so.“ Eine Architektin aus Stuttgart ist begeistert von Arno Geiger, sie habe den Roman verschlungen. In Deutschland, meint Plöschberger, gebe es ein generelles Interesse an österreichischer Literatur, „weil aus diesem kleinen Land eine Menge spannender Stimmen kommen. Das hat mit Sicherheit mit einer sehr lebendigen und vielfältigen Verlagskultur zu tun.“ Die wiederum nur möglich sei, weil Österreich hier eine einzigartige Förderstruktur geschaffen habe. „Die gibt es nirgendwo sonst im deutschsprachigen Raum.“

Das Ergebnis kann man am Stand des Gastlandes Österreich sehen: 60 Verlage präsentieren sich dort, es geht demokratisch zu, jeder kriegt ein etwa gleich großes Plätzchen, vom kleinen „Das vergessene Buch“, der mit Romanen von Marta Karlweis und Maria Lazar Erfolge feiert, bis zum Zsolnay-Verlag. Der Andrang ist groß. Der Pavillon platzt aus allen Nähten. Die Leipziger Buchmesse sollte sich überwinden, den Gastländern mehr Raum zur Verfügung zu stellen. Und, wie Stefan Ulrich Meyer, Programmleiter Sachbuch bei dtv, meint, einen repräsentativeren Platz. „Es sagt schon etwas über den Gastgeber aus, wenn er den Gast in den hinteren Winkel setzt.“

Meyer wartet im Österreich-Café auf einen Gesprächspartner, das sei der schönste Platz, um sich mit jemandem zu treffen. An unserer Literatur schätzt er, „dass sie nicht so bierernst ist, aber trotzdem substanziell“. Er attestiert ihr einen größeren sprachlichen Reichtum, sowohl im Wortschatz als auch in den grammatischen Konstruktionen – gerade weil wir zwischen Dialekt und Hochsprache switchen. „Wolf Haas hat das perfektioniert, das kriegt kein Norddeutscher hin.“ Ach, was soll's. Wir hören das doch gern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2023)

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