Der ökonomische Blick

Sprache und Integration: Die langfristigen Wirkungen der Schulpolitik

Die Presse/Clemens Fabry
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Programme für neu eingetroffene Flüchtlinge und Migranten gelten als besonders erfolgreich, wenn sie einen starken Schwerpunkt auf Sprachtraining setzen. Eine empirische Studie aus den USA legt nun nahe, dass die erzwungene Sprachwahl an der Schule nach hinten losgehen kann.

Migranten mit guten Kenntnissen der Landessprache sind typischerweise wirtschaftlich erfolgreicher, haben höhere Einkommen und sind besser sozial integriert als Migranten mit geringen Sprachkenntnissen (Chiswick und Miller, 2015). Die Sprache hilft, Wissen und Erfahrungen vom Heimatland in die neue Umgebung zu übertragen und erleichtert so die Assimilation. Dieser Zusammenhang lässt sich auch in der Migrationspolitik umsetzen. Eine Reihe von Studien aus Europa und den USA zeigen, dass Programme für neu eingetroffene Flüchtlinge und Migranten besonders erfolgreich sind, wenn sie einen starken Schwerpunkt auf Sprachtraining setzen.

Neben den Berufseinsteigern ist die Sprachförderung auch besonders wichtig für Kinder von Migranten, die sonst leicht den Anschluss im Bildungssystem verlieren. Der kürzlich gemachte Vorschlag, dass in österreichischen Schulen nicht nur im Unterricht, sondern auch in der Pause ausschließlich Deutsch gesprochen wird, löste allerdings eine lebhafte Diskussion aus. Ist der einseitige Schwerpunkt auf Deutsch in der Schule möglicherweise zu viel des Guten?

Jede Woche gestaltet die „Nationalökonomische Gesellschaft" (NOeG) in Kooperation mit der "Presse" einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften. Dieser Beitrag ist auch Teil des Defacto Blogs der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an der Central European University (CEU). Die CEU ist seit 2019 in Wien ansässig.

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US-Studie beleuchtet negative Folgen

Eine empirische Studie aus den USA legt nahe, dass die erzwungene Sprachwahl an der Schule in der Tat nach hinten losgehen kann. Vasiliki Fouka von der Stanford University, untersucht das Verbot von Deutsch als Unterrichtssprache in einigen amerikanischen Staaten nach dem Ersten Weltkrieg. Zu dieser Zeit waren Deutsche eine der größten Migrantengruppen in den USA, sie waren sozial gut integriert und wirtschaftlich erfolgreich. In Regionen mit hohem Migrantenanteil wurden Kinder in zweisprachigen Schulen auf Deutsch und Englisch unterrichtet. Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges wurden deutsche Migranten in den USA jedoch zusehends als Bedrohung gesehen.

Durch den Krieg gab es auch einen abrupten Bruch in der bis dahin flexiblen Politik zur Verwendung der englischen Sprache. Der Espionage Act verlangte, dass alle fremdsprachigen Publikationen auf Englisch übersetzt werden. Zahlreiche weitere Regeln schränkten Fremdsprachen ein, Iowa verbot unter anderem den Gebrauch von Deutsch am Telefon. Zwischen 1917 und 1923 erließen 23 Staaten Verbote für den Gebrauch von Fremdsprachen im Unterricht an Grundschulen. Diese Gesetze bezogen sich zum Großteil auf den Gebrauch der deutschen Sprache.

Fouka konzentriert sich in ihrer Studie auf Indiana und Ohio: zwei Staaten mit großzügigen zweisprachigen Bildungsangeboten im öffentlichen Bereich vor 1919, die ab 1919 strikte Gesetze zum Verbot von Deutsch als Unterrichtssprache erließen. Die Nachbarstaaten Illinois, Michigan, Kentucky, West Virginia, Pennsylvania erließen allerdings keine Sprachverbote. Diese Situation lässt sich als „natürliches Experiment“ für die empirische Analyse verwenden. Fouka untersucht schulpflichtige Kinder in Familien deutscher Migranten, die in Bezirken an der Grenze zwischen Indiana und Ohio und deren Nachbarstaaten lebten. Sie vergleicht Integrationserfolge verschiedener Gruppen und benutzt dabei räumliche Variation in den Sprachverboten zwischen Bezirken beiderseits der Grenze, sowie zeitliche Variation zwischen Migrantenkindern in älteren Geburtskohorten, die noch nicht von dem Sprachverbot betroffen waren und jüngeren Kohorten, für die das Sprachverbot galt.

Sprachverbote beeinflussen die Partnerwahl

Um die Effekte der Sprachverbote auf Assimilation der betroffenen Kinder im Erwachsenenalter zu messen, verknüpft Fouka historische Daten aus dem Census von 1920, 1930 und 1940. Sie benutzt die Wahl der Ehepartner, um zwischen deutschen und interkulturellen Ehen zu unterscheiden, und die Nähe der Vornamen der Kinder aus diesen Ehen zu deutschen Namen. Die Ergebnisse sind verblüffend klar. Migrantenkinder, die während der Volksschulzeit vom Verbot der deutschen Sprache betroffen waren, gehen deutlich weniger interkulturelle Ehen ein, sondern wählen deutsche Partnerinnen. Sie benennen ihre Kinder vorwiegend mit deutschen Namen. Datenverknüpfungen zu Militärregistern zeigen zudem, dass das Sprachverbot zu geringeren Freiwilligenmeldungen im Zweiten Weltkrieg führt. 

Die Auswertung des historischen Experiments kommt zu dem klaren Schluss, dass die Konzentration auf Englisch als Unterrichts- und Schulsprache nicht zu einer verstärkten Integration und Assimilation der Kinder deutscher Migranten führt, sondern im Gegenteil zu einer Stärkung der ethnischen Identität. Eine mögliche Erklärung für dieses Resultat ist, dass Eltern eine Präferenz dafür haben, ihren Kindern einen Teil der Identität ihres Heimatlandes mitzugeben. Falls das nicht in der Schule – etwa im Sprachunterricht –  geschieht, kompensieren die Eltern mit anderen Angeboten, die eventuell sogar zu einer Verstärkung der ethnischen Identität und einer Verringerung der Integration führen.  Die Studie zeigt, dass Kinder mit einem deutschen und einem nicht-deutschen Elternteil weniger auf das Sprachverbot reagieren, da diese Eltern wohl schwächere Präferenzen für die nationale Identität haben. Allerdings reagieren Kinder aus Bezirken mit geringerem Migrantenanteil stärker, weil deren Eltern die Identität wichtiger ist.

Im Lichte dieser Interpretation beinhalten die Studienergebnisse im historischen Kontext eine wichtige Nachricht für die heutige Zeit. Obwohl Sprachkenntnisse extrem wichtig für den Integrationserfolg sind, können Integrationsmaßnahmen, die von den Betroffenen als Zwang oder Ausgrenzung empfunden werden, auch hinten losgehen.

Die Autorin

Andrea Weber ist Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Central European University und Konsulentin am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO), Wien. Ihre primären Forschungsgebiete sind Arbeitsmarktökonomie und angewandte Mikroökonometrie.

Weiterführende Informationen

Fouka, Vasiliki, 2020. Backlash: The Unintended Effects of Language Prohibition in US Schools after World War I, Review of Economic Studies, 87(1), pp.204-239.  https://academic.oup.com/restud/article/87/1/204/5472346

Chiswick, B.R., Miller, P.W., 2015. Chapter 5 - International Migration and the Economics of Language, in: Chiswick, B.R., Miller, P.W. (Eds.), Handbook of the Economics of International Migration, Handbook of the Economics of International Migration. North-Holland, pp. 211–269. https://doi.org/10.1016/B978-0-444-53764-5.00005-0

Foged, Mette, Linea Hasager, Giovanni Peri, Jacob Nielsen Arendt, Iben Bolvig, 2022. Language Training and Refugees' Integration. The Review of Economics and Statistics; doi: https://doi.org/10.1162/rest_a_01216

Heller, B.H., Mumma, K.S., 2022. Immigrant Integration in the United States: The Role of Adult English Language Training. https://www.aeaweb.org/content/file?id=16993

Lochmann, A., Rapoport, H., Speciale, B., 2019. The effect of language training on immigrants’ economic integration: Empirical evidence from France. European Economic Review 113, 265–296. https://doi.org/10.1016/j.euroecorev.2019.01.008.

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