Gastkommentar

Wir brauchen heutige Hymnen

Der Ruf nach Änderung einiger Landeshymnen ist richtig, verwunderlich ist, wie spät er kommt.

Irgendwann ist es genug, und man hat die Pflicht auszusortieren. Die IG Autorinnen und Autoren sowie ihr Geschäftsführer, der Schriftsteller Gerhard Ruiss, fordern in einem offenen Brief an die Landeshauptleute von Ober- und Niederösterreich sowie Salzburg und Kärnten berechtigte Änderungen der jeweiligen Landeshymnen, weil sie – gelinde gesagt – historisch belastet seien.

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Ich selbst wundere mich nur, dass solche Forderungen nicht schon längst aufgestellt worden sind, und zwar von den sonst so akkuraten Historikerinnen und Historikern. Die Frage ist, ob sie geschlafen haben, zumal ein Schriftsteller mit seinen Kolleginnen und Kollegen in die Bresche springen muss, weshalb ich nicht umhinkomme, an dieser Stelle zu sagen: Danke, Gerhard Ruiss!

Was ist während des ewigen Winterschlafs der Historiker passiert?, muss man sich fragen. Aber der Reihe nach: Der Verfasser der oberösterreichischen Hymne sei ein radikaler Antisemit, heißt es. Der niederösterreichische Hymnendichter habe die Bücherverbrennungen und den „Anschluss“ an Nazideutschland befürwortet. Am drängendsten sei das Problem in Salzburg, da der kriegsverherrlichende Textautor der „Schollenschwulst“ erlegen und der Komponist überhaupt ein Illegaler gewesen sei. In Kärnten sei das Problem einfacher zu lösen. Man müsste nur eine nachträglich verfasste vierte Strophe „einer frühen illegalen Nationalsozialistin“ streichen.

Wir leben im Jahr 2023 ...

Den – von Gerhard Ruiss sowie der IG Autorinnen und Autoren – aufgestellten Forderungen schließe ich mich an. Das heißt, die Hymnen von Oberösterreich und Niederösterreich sowie Salzburg bedürfen, wie es in dem offenen Brief heißt, einer Neuformulierung. Dies wäre die beste Lösung, weil an Texten von Dichtern nicht herumzudoktern ist. Außerdem ist die Bundeshymne ein exemplarisches Beispiel für etwas Neues.

Als sich mutige Menschen, darunter die österreichisch-kroatische Dichterin Paula von Preradović selbst sowie ihre Söhne, Fritz Molden und Otto Molden, auch durch ihren Widerstand der Nazi-Diktatur entledigt hatten, brauchte das erniedrigte und desgleichen mittäterhafte Land eine neue (Volks-)Hymne. Preradović beteiligte sich am Wettbewerb, den Unterrichtsminister Felix Hurdes angeregt und für den er sie explizit zur Teilnahme eingeladen hatte. Ihr Gedicht „Land der Berge, Land am Strome“ war siegreich. Der Ministerrat erklärte es am 25. Februar 1947 zur „Österreichischen Bundeshymne“.

Heute könnten die Landeshauptleute Stelzer, Mikl-Leitner und Haslauer desgleichen einen Literaturwettbewerb ausloben – und möge mir keiner dieser Politiker sagen, das Land hätte keine Dichterinnen und Dichter. Von den ungefähr 4000 in Österreich „organisierten“ gibt es auch in den zitierten Bundesländern ein paar begabte Schreiber.

... und nicht im Abwehrkampf

Landeshauptmann Peter Kaiser möge, bitte, nicht mehr behaupten, er sehe keine notwendige Änderung der Landeshymne. Er ist ein intellektueller Mensch und weiß nur zu genau, dass die vierte Blut-Strophe der Landeshymne nicht in unsere Zeit passt. Ich habe eine Streichung der Strophe, in der man die Grenze mit Blut schreibt und die Kärntner Slowenen beleidigt, bei einem wissenschaftlichen Symposium und in einer korrespondierend erschienenen Hymnenmonografie (herausgegeben von G.Lughofer: „Hymnen Österreichs“, Wien, 2022) ausdrücklich gefordert. Wir leben im Jahr 2023 und nicht im Abwehrkampf!

Janko Ferk ist Jurist, Schriftsteller und lehrt an der Universität Klagenfurt/Univerza v Celovcu. Zuletzt erschien seine Reisemonografie „Die Slowenische Riviera“ (Edition Kleine Zeitung, Graz, 2022).

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2023)

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