Modemüde

Normcore-Nouveau: Aus Mode wird wieder Kleidung

Looks aus den Herbstkollektionen von Loewe, Miu Miu, Gucci, Bottega Veneta
Looks aus den Herbstkollektionen von Loewe, Miu Miu, Gucci, Bottega Venetabeigestellt
  • Drucken

Jahrelang buhlte die Mode im Netz um Aufmerksamkeit. Erfolg hatte, wer am skurrilsten designte. Jetzt hat man sich satt geschaut. Ein Reset.

Soziale Kanäle haben es so an sich, dass insbesondere Skurriles blitzartig die Runde macht. Das hierfür plakativste Beispiel ist wohl der rote Stiefel von MSCH, der mehr einem Spielzeug gleicht als einem tragbaren Schuh. Es folgte ein Schuh, den man vorwärts wie rückwärts tragen kann und gleich darauf entledigte man sich überhaupt gleich der Hose. Das mag im Netz ganz nett aussehen, im Alltag ist genannte Mode aber in etwa so tragbar wie die rein digitale. Geblieben ist davon ohnehin auch online nichts. Das macht Sinn, führt man sich vor Augen, dass Mode immer öfter entworfen wurde, um dem Algorithmus gerecht zu werden, immer weniger, um getragen zu werden. In Klick-Bait-Manier wurde die Mode flacher, übersättigte Feeds haben (mode)müde gemacht. 

In sämtlichen Kritiken zu den Herbst/Winter-Modeschauen las man deshalb Erleichterung zwischen den Zeilen. Endlich Kleidung, hieß es im „i-D Magazine“. Als Symbolbild dient der letzte Look von Bottega Veneta, aus Jeans, Tanktop und umgebundener Jacke. Nensi Dojaka zeigte Jeans und Rollis, Proenza Schouler neben schlichten Blazer in dunkelblau und beige gar Hoodies, ebenso Miu Miu. Selbst Gucci übte sich in Schlichheit (Jeans, Hemd, Blazer). Ganz normale Looks. Oder in Trendsprache: Normcore, wahlweise mit Hashtag davor. 

Finaler Look der Herbstkollektion von Bottega Veneta.
Finaler Look der Herbstkollektion von Bottega Veneta.Filippo Fior/Bottega Veneta

Neue Normalität

Nun ist weder der Trend, noch der Name neu. Schon vor etwa zehn Jahren war von einem post-ironischen Anti-Modetrend die Rede. Coole Leute, die sich möglichst uncool kleideten, der Abgrenzung zur kommerzialisierten Mode wegen. Die Bezeichnung Normcore stammt vom mittlerweile aufgelösten Kollektiv K-Hole, um 2013 etablierte sich diese auch in der breiten Masse. Waren es damals eher unmodische Väter à la Jerry Seinfeld, die den Modeaffinen als Vorbild dienten, ist es nun vermehrt der reduzierte Stil von Damen wie Carolyn Bessette-Kennedy und Prinzessin Diana - sei es im Blazer oder in Radlershorts. Normcore wird zu Normcore-Noveau.

John F. Kennedy Jr. und Carolyn Bessette-Kennedy.
John F. Kennedy Jr. und Carolyn Bessette-Kennedy.(c) imago/ZUMA Press (imago stock&people)

Dabei ist nicht nur das reduzierte Kleidungsstück an sich Merkmal, auch die Willkür rund ums Bekleiden. Das gerippte Muscle Shirt wird ins Büro ausgeführt, der Blazer ins Fitnessstudio. Die Jeans kann längst auch in die Oper, der Bleistiftrock in den Club. Einen „collapse into casualness“, also den Kollaps in die Lässigkeit, nennt es der K-Hole Gründer Seán Monahan gegenüber einem Branchenmagazin. Alles wird ein bisserl' weniger strikt, ein bisserl' langweiliger, ein bisserl' weniger shocking. Immer mal wieder wird die drohende Rezession als Impuls für diesen Wandel beschrieben, Expertinnen und Branchenkenner sind sich hierbei aber uneins. Womöglich ist es auch nur das Produkt der zyklischen Natur der Modebranche. Eine Verschnaufpause nach dem Dopamin-Dressing, bis zum nächsten Moderausch. 

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.